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Weltrevolution, oder warten auf Godot

„Geschichte scheint dazu verdammt, sich zu wiederholen nur die Akteure wechseln.“ Die Ritter der alten Tafelrunde sind älter und auch müder geworden und haben der nächsten Generation Platz gemacht. Wenn sie eines gelernt haben im Leben, dann das man Erfahrungen nicht vermitteln kann. Genau das scheint die Ursache für den, oft zitierten, ersten Satz hier zu sein. Den alten Männern und Frauen schmerzen irgendwann die Ohren, von dem Geschrei, welches sie selbst einmal verursachten.

Auf der Bühne geht das Licht an. Ein großer runder Tisch, abgewetzte, ehemals mit Purpur bespannte Stühle – 12 an der Zahl. Ansonsten symbolische Leere bis tief in das Kulissenhaus hinein. Eine Gruppe Menschen betritt den Raum – Touristen offensichtlich. Angeführt von einer Dame deren Anblick Vergangenheit ausstrahlt. Es ist Ginevra, die Gattin König Artus`, wie die spätere Handlung verrät. Alles an ihr ist Verfall, ihr Auftreten, ihr Sprechen, ihr Habitus – Relikte einer vergangenen Epoche. Sie verströmt eine Aura von Überheblichkeit, vorgeblichener Macht und Anspruchsdenken. Die Touristen machen ihre Schnappschüsse und Ginevra lenkt die Aufmerksamkeit auf die Fürstenloge gegenüber der Bühne. Eine Ritterrüstung mit geschlossenem Visier sitzt auf dem mittleren Sessel. „The Knight is real.“ betont die Touristenführerin. (Gesprochen, ein gewolltes Wortspiel). Abgang – Gruppe.

siehe hier mehr …

Die Kulisse:

Ein hinterer Raum in einem Schweriner Caféhaus oder auch eine viel zu enge Eckkneipe in einer schmalen Gasse mit uralten Fachwerkhäusern – die Räume verqualmt, das Licht geradeso ausreichend, die Wände nikotin-vergilbt, das Mobiliar leicht angeranzt und in die Jahre gekommen. Sie waren unsere Spaces von damals.

Die Akteure:

Überwiegend junge Leute aus allen Bereichen des Lebens, Pfarrerskinder, Pastorinnen, Redakteure, Theatermitarbeiter, Schauspieler, Menschen aus medizinischen Berufen, später einmal berühmte Gitarristen, Geschichtsbegabte, Akteure aus verschiedenen Schichten, Bildungen und, und, und … Wie wir ahnten und auch später erfuhren, ebenfalls der eine oder andere „inoffizielle Mitarbeiter aka IM“.

Das Publikum:

Stammkunden, Laufkundschaft, interessierte Zuhörer, Gelangweilte und Spötter, berufsbedingt aufmerksame Zuhörer …

Die Handlung:

Quelle: wilhelm-m-busch.de

Wir warteten, wie Wladimir und Estragon, auf Godot und wähnten uns sicher, dass er nicht kommen würde. Wir hatten unseren Beckett gelesen und verstanden. Also tranken wir Kaffee oder Bier und qualmten vor uns hin. Wir waren selbstverständlich solidarisch miteinander, Zigaretten, die auf dem Tisch lagen gehörten allen, wer gerade kein Geld hatte wurde eingeladen und revanchierte sich später. Wir verschworen uns gegen das System, die Bonzen und alles Unrecht dieser Welt. Wir konspirierten ohne genau zu wissen wer DIE im Einzelnen waren. Wir verarbeiteten unsere Begegnungen mit den Systemlingen, wetzten unser Maul an Zuständen und Zumutungen.

Zwischendrin verliebten wir uns gelegentlich, trugen unseren Herzschmerz zur Schau und verliebten uns erneut. Wir waren jung, unverletzlich und voller Enthusiasmus. Der eine mehr, die andere weniger.

Wir planten die Weltrevolution, dachten laut über Veränderungen und Hoffnungen nach und warteten auf Godot. Wir spielten einen Anschluss Mecklenburgs an Dänemark durch, wollten sämtliche Industrie in MV demontieren der Natur und dem Tourismus zuliebe und warteten auf Godot. Und wir machten uns Gedanken über die Mülldeponie in Schönebeck(?). Alles war gut, behaglich und wir ein eingeschworener, revolutionärer Haufen von Maulhuren. Wir waren uns einig, wenn der große Tag kommt, werden wir wie ein Mann stehen. Aber dann …

Die überraschende Wende:

Quelle: SVZ – (Montagsdemo in Schwerin)

Alles war so behaglich, gemütlich warm und wir voller Tatendrang – den wir sehr wohl zu kontrollieren wussten. Schließlich erinnerten wir uns doch, was in Berlin, Budapest, Prag und Danzig geschehen war. Unser revolutionär-politisches Verständnis warnte uns halt vor „übereilten“ Schritten. Außerdem hatten wir unsere Themen noch nicht vollständig ausgereizt.

Dann plötzlich hatten einige Leute auch in Mecklenburg Montagsdemos organisiert. Godot war eingetroffen. Also mussten wir raus aus unserer Wohlfühlzone und ins „kalte Wasser“ – wir marschierten mit.

Der Epilog:

Nicht alle aus unserer Clique waren nur Redner oder Schwätzer. Viele von ihnen waren abseits dieser Räume durchaus aktiv und handelten tatsächlich – siehe hierzu: „Dicke Luft: Zwischen Ruß und Revolte“ oder „Wir wollen immer artig sein – Punk in der DDR„. Sie beteiligten sich in den unterschiedlichen Gruppen und kirchlichen Organisationen. ABER das konnte kein Thema in den oben genannten Räumen sein. Viel zu offen war der Zugang zu den Räumen, viel zu unsicher war die Klientel – sowohl die innerhalb als auch außerhalb der „Spaces“.

Offensichtlich war das selbst der Stasi seinerzeit bewusst. Zwar gab es einige IMs in unserem Haufen, aber als ich nach der Wende Einblick in meine Akte erhielt, war die „Enttäuschung“ ziemlich groß. Ich war einfach nicht wichtig gewesen. Meine Akte bestand lediglich aus wenigen Seiten. Genug um vor meiner Tochter anzugeben und sich vor ihr zu rehabilitieren, aber längst nicht genug um damit hausieren zu gehen, oder die Wichtigkeit, die man sich damals gab, zu unterfüttern.

Als alle Weltrevolutionen für uns obsolet geworden waren, zerteilte sich die Gruppe von damals. Gelegentlich trifft man den Einen oder Anderen. Ein kurzes:“Weißt du noch?“ und man geht wieder seines Weges. Viele zogen in den „Westen“ zur Arbeit. Andere arbeiten noch heute an der Aufarbeitung jener Zeit, wieder andere starteten eine, zu jener Zeit undenkbare Karriere, und manche haben einfach nur Familien, Kinder und kleine Firmen gegründet. Das richtige Leben halt.

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