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Vorabveröffentlichung: Die Götter würfeln nicht

Vorveröffentlichung zu meinem buch: Die Götter würfeln nicht

Auszüge aus meinem buch „Die Götter würfeln nicht“ (Arbeitstitel)

Liebe Leser, aktuell arbeite ich an meinem neuen Buch. Es sollen fiktive Dialoge, zuweilen auch Monologe mit und über Mythen der griechischen Antike sein. Schon immer haben diese Geschichten uns Menschen bewegt und belehrt. Aber die Zeit wetzte sich an ihnen, wie an Münzen, die von Hand zu Hand gehen. Daher ist es womöglich so weit ihnen neue Bedeutungen und neue Interpretationen zuzuordnen. Ich möchte hier gelegentlich einige Auszüge aus diesem Buch vorveröffentlichen und eurem Urteil übergeben.

Vom Denken und Schreiben

Hinausstarren in die Dunkelheit, in den nächtlichen Himmel, der seine Sterne hinter dem Licht der Stadt versteckt. Einen Punkt suchen in der Zeit, als wären dort die Worte, nach denen man sucht, bereits geschrieben.
Stille, endlich. Ich suche nach dem einen Punkt in der Zeit, den ich noch nicht sehen kann. Der aber da ist. Das muss so sein. Warum sonst sollte ich mich auf den Weg machen, ihn zu suchen?

Drei Ausgangspunkte benötigt man, um einen Punkt im Raum zu bestimmen, so sagt es die Physik. Ich bezweifle, dass zwei weitere, wie ich, zur selben Zeit nach dem eben gleichen Punkt Ausschau halten. Eher vermag meine Phantasie, was der Physik versagt bleibt und ich allein bin im Versuch, diesen einen Gedanken zu fixieren. Was weiß Physik von meiner Phantasie? Sie kommt in ihr nicht vor. Physik ist das bloße „Es ist“ oder „Ist nicht“. Im Geist gibt es mehr, viel mehr Variable.

Weiter. Konzentriere dich! Es ist so viel Raum, so viel Zeit. Noch einmal zurück zum Punkt Null.

Im Anfang sei das Wort gewesen. Nicht ein Gedanke? Es muss doch ein Gedanke diesem Wort vorausgegangen sein. Wäre das Wort nicht ansonsten sinnlos gewesen? Redeten die Götter denn ohne den sprichwörtlichen Sinn und Verstand, wie wir Menschen so oft? 

Falscher Raum, falsche Zeit. Zurück zum Ausgangspunkt.

Allein vor dem Papier oder dem Rechner sitzen und eben diesen einen Punkt, diesen einen ersten Satz, suchen. Kunert nannte es ein Aquarium. Kunert brachte sparsam seine Worte und genau zu Papier. Ein gutes Bild. Man fixiert durch das Glas des Fensters das Nichts und hofft in der Welt, da draußen zu finden, was nur in einem selbst zu finden ist. Dabei sitzt man bereits inmitten aller Worte und Sätze. Nur die Auswahl und die Reihenfolge müssen noch gefunden werden. So einfach ist das also. 

Der Raum scheint gefunden. Es fehlt noch die Zeit.

Finde in der richtigen Zeit die passenden Worte. Oder besser die passenden Worte zur rechten Zeit. Hinter mir ein Regal voller Wörter, Sätze und Reime. Gedacht, aneinander gereiht, geschrieben und gedruckt. Sie haben neue Wörter hervorgerufen, neue Sätze, von Berufenen und Unberufenen. Ein Risiko, das jeder eingeht, der seine Gedanken nicht für sich behalten kann. Wörter gebären neue Wörter. Sätze rufen weitere Sätze hervor, bessere oder schlechtere, man kann nie sicher sein.

Schreiben ist öffentliches Denken. „Seht her, was ich gedacht habe!“ Immer wird sich jemand finden, der überzeugt ist, diese Sätze besser hätte formen zu können. Aber nun ist es zu spät, nun steht die Reihenfolge und die Auswahl fest und darin liegt der Frevel des Schreibers. Das wirft der Leser ihm, wann immer möglich, vor. 

Falscher Raum. Falsche Zeit. Zurück zum Ausgangspunkt.

Noch einmal hinaus, vorbei an den Zeiten, in denen Kinder gezeugt, Mädchen zu Frauen erwachsen und Söhne zu Soldaten oft, deren Stiefel die Steine der Straßen wetzen. Keine Klischees, auch keine tragischen. Weiter, durch die Zeit, weiter. Keine Stiefel; Sandalen sollen es sein und Helden. Helden, Sandalen, Götter und Mythen. Also doch Klischees. Halt andere nur. So kann es werden. So kann man das Unaussprechliche erträglich schreiben. Das Unerträgliche abstrakt machen. Kein „Ja, aber …“ sollte am Ende als Spielraum bleiben. 

Das ist der gesuchte Punkt. Ich bin angekommen in der Zeit.

Jetzt kommen die Worte und ordnen sich in die Sätze ein. Jetzt lassen sich die Gedanken zu Text formen und in Reihe bringen. Es wird, was es werden soll, oder besser werden kann, und die Seiten füllen sich.

Ich spreche mit Toten. Mein Geist erweckt sie und gibt ihnen Knochen, Fleisch und Worte. Ich nötige sie, mir Rede und Antwort zu stehen. Kein Drudenfuß ist dazu nötig und kein Tischkreis. Stille nur und die Abwesenheit der Lebenden. Hier gehört der Leser noch nicht hin. Hier störte er nur.

Gestalten entspringen meinem Kopf, wie Athene einst dem des Zeus. Sie drängen in den Raum und auf meine Seiten. Ich muss sie vom bisher Gesagten und Gedichteten befreien. So tun, als kenne ich sie nicht. Als begegnete ich ihnen zum ersten Mal. Schreiben braucht Arroganz. Sie bringen Neues und Bekanntes mit sich, Wahres und Zugedachtes, Wichtiges und Nutzloses. Ich muss sie zur Ordnung rufen, was mir letztlich auch leidlich gelingt. 

Und am Ende dann doch wieder nur Zweifel. Ein vielleicht bei jedem Einzelnen der Worte. Andere Wörter drängen herauf und andere Sätze kommen in den Sinn. Man erkennt, wie Sisyphos, man kann den Gipfel nicht erreichen. Man wird es womöglich nie, aber ein Aufgeben ist nicht erlaubt, das regelt der Fluch und ein Später gibt es nun nicht mehr. 

Es ist zu vollbracht, man hat seine Gedanken öffentlich gemacht. Hat sich dem Urteil der Götter ausgeliefert und hofft auf Gnade in deren Auge. Wie meine Helden dem Urteil der Götter in ihrer Zeit.

Sisyphos

Sisyphos, du Narr, du lächerlicher alter Narr. Nun siehst du es ein? Die Götter würfeln nicht mit Deinesgleichen. Und erst recht nicht mit Unsereinem. Schrecklich ist des Olymp` Zorn und streng sind seine Gesetze. Gesetze, die wir befolgen sollen zu der Götter eigenem Schutz.

Hast du denn nichts aus dem Schicksal der deinen gelernt, Titanensohn? Lehrte dich deine Mutter Enarete nicht das Schicksal des Prometheus? Die ewigen Qualen dessen, der den Göttern das Licht und die Wärme entriss, um sie uns Menschen zu bringen? Lehrte sie dich nicht, dass man den Göttern nicht nimmt, was den Göttern vorbehalten bleiben soll auf ewig?

Jetzt sieh dich an, Sisyphos. Sieh was sie aus dir und mit dir gemacht haben. Du hast dich für klug gehalten. Hast gedacht, wie mutig es ist Thanatos, den Tod selbst zu überlisten, und den Menschen zum Feuer auch die Unsterblichkeit zu geben. Wohin hat dich deine List gebracht? In die Narretei, du trauriger alter Narr.

Glaubtest du wirklich, der Olymp hätte nicht gelernt aus Prometheus` Frevel? Glaubtest du wirklich, er hätte keine neuen Gesetze erlassen zu ihrem Schutz? Das zu glauben, macht einen doppelten Narren aus dir.

Ja, du hast den Tod überlisten und binden können, dass seine Ernte ausblieb für eine kurze Weile. Aber nicht lange hielten seine Fesseln, oder? Ein Schelmenstreich in der Tat, aber ohne Wirkung auf Dauer. Dem Menschen konntest du nicht helfen, dir aber konntest du schaden.

Und, Sisyphos, handeltest du wirklich um unserer Unsterblichkeit willen? War nicht die eigene der Grund für dein Tun? Wolltest du nicht in Wahrheit den Prometheus noch übertrumpfen? Dachtest du nicht, was ist ein Feuer gegen die göttliche Unsterblichkeit? So denken Götter, Sisyphos, So denken Titanen. Aber so denken nicht Menschen. Wolltest du nicht in Wirklichkeit geliebt sein von uns, wie der andere es wird? Sei ehrlich Sisyphos, dein Tun war Eitelkeit. Du hattest erkannt, dass unsere Zuwendung deine Unsterblichkeit sichert. Ist es nicht so? Sei ehrlich, Sisyphos, sei ehrlich.

Jetzt sieh dich an. Sieh an, was sie dir antaten dafür. Einen Narren haben sie aus dir gemacht und keinen zweiten Märtyrer, gefesselt an den Hängen des Kaukasus und zu ewigem Schmerz verurteilt. So hatte Zeus, dein Widersacher es beschlossen.

Ja, verehrt wie ein Gott wird Prometheus von uns Sterblichen. Seinen Fehler erkannte Zeus rasch. Diesen Fehler machte er kein zweites Mal. Bei dir sollte sich nicht wiederholen, was dem anderen Titanen gelang. Verehrung, sollte nur für den sein, der den Blitz befehligt. Kein zweites Schicksal, wie das erste, sollte jemals wieder einem Titanen beschieden sein. Kein Glück im Schmerz sollte dir widerfahren.

Dich bestrafte er anders. Er wusste um deinen Willen zum Widerspruch und um deinen Stolz. Er wusste um deine List. All das fürchtete er zu Recht. All das wollte er gegen dich selbst wenden. Dir Deinen Stolz nehmen, deinen Willen brechen und deine List gegen dich einsetzen.

Seht, sagten die Götter uns, seht diesen Mann, diesen lächerlichen Titan. Uns Göttern wollte er trotzen, wie seine Vorfahren schon. Seht sein sinnloses Tun. So ergeht es denen, die uns nehmen wollen, was unser ist in allen Zeiten und der Ewigkeit. Seht diesen lächerlichen Mann, der uns nehmen wollte, was unser ist durch unser Gesetz. Er wollte Götter besiegen und schafft es nicht einmal einen Stein zu besiegen.

Und du Sisyphos bist nun also verdammt, verdammt deinen Felsen den Berg hinaufzuwälzen. Nur um ihn immer wieder hinabstürzen zu sehen. So lächerlich sinnlos wie einst deine Freveltat. Immer wieder und wieder und wieder dein Scheitern, ewig, und kein erlösender Tod ist für dich vorgesehen.

Selbst der Berg ist nicht gewillt, voll Erbarmen das Knie zu beugen. Er bleibt nur Zeuge deiner lebenslangen Pein. Zerschunden ist dein Körper vom Fels und Schweiß rinnt über dein Gesicht, vermengt sich lange Zeit mit deinem Zorn und dem verletzten Stolz. Dennoch, aufgeben steht nicht in deiner Wahl. Der Fluch entscheidet für dich. Er entscheidet über dein Tun und dein Versagen.

Seit Tagen, Jahren und Jahrhunderten stemmst du dich gegen den Felsen, mit jeder Faser deines Seins, wie gegen dein Schicksal, zu dem dein Stein und dieser Berg wurde. Deine Strafe ist die Unsterblichkeit und die Unsterblichkeit deines Versagens.

Als Titanensohn wusstest du um die Eitelkeiten und die Schwächen der Götter, denn sie sind auch die deinen gewesen. Du hattest sie als furchtbare Gegner ausgemacht und anerkannt. Darin, das glaubtest du Listenreicher, bestand dein wahrer Sieg. Du hattest sie herausgefordert und sie hatten deine Herausforderung annehmen müssen. Zu hoch war der Einsatz für sie durch dich. Zu riskant für ihre Macht dir nicht zu widerstehen.

Sie wussten um deine Entschlossenheit und deinen rebellischen Geist. Du warst ihnen zu menschlich geworden in deinem Widerspruch und zugleich zu unmenschlich in deinem Ziel. Du lehntest dich nicht auf gegen die Tragödie deines Tuns, sondern gegen ihren Anspruch. Du kanntest ihre Schwäche, denn du bist wie sie, ein Gotteswesen.

Sisyphos der Lächerliche, das sollte zu deinem Schicksal werden. So hatte der grausame Zeus es vorgesehen und so haben es die Menschen geglaubt, wenn auch nicht alle, so doch lange Zeit. Du glaubtest, du hättest den Olymp durchschaut. Du wusstest, dass sie müde geworden waren nach all der Ewigkeit. Das machte sie für dich nicht ungefährlicher, wohl aber vergänglicher in der Zeit.

Du hattest deinem Plan vertraut, sagst du, und wolltest für die Menschen mit den Göttern streiten. Hattest deine Eitelkeit mit Vernunft verwechselt, deine Arroganz mit Kenntnis über den menschlichen Willen. Hattest zu wissen geglaubt, was den Menschen fehlt. Du, ein Gott, glaubtest, für uns kämpfen zu müssen. Glaubtest daran, dass der Mensch eines Tages deinen Plan erkennen würde und nicht nur deine Mühen und du tust es noch immer. Wie göttlich anmaßend du noch immer bist.

Was unterscheidet deine Göttlichkeit, Sisyphos, von der des Olymp? Warum glaubtest du zu wissen, was wir Menschen benötigen? Wolltest du in Wahrheit uns nicht zu deinesgleichen machen? Wolltest du uns nicht in Wahrheit zu deinen Verbündeten machen, mit deinem göttlichen Geschenk?

Wie töricht von dir, Sisyphos! Worin liegt der Sinn? Was würde mir deine geschenkte Freiheit sein, die mir genommen werden kann, immer aufs Neue? Kann deine Freiheit meine Kinder nähren? Kann deine Freiheit mich wärmen? Was soll mir, einem Menschen, eine, wie wohlwollend auch immer dargereichte Freiheit sein, deren Wert ich nicht abschätzen kann? Ja, mein lieber Narr, deine Mühe ist uns Menschen wenig wert, solange sie gottgegeben ist.

Du konntest es nicht wissen und weißt es noch immer nicht: Götter fordert man nicht heraus. Gegen Götter kämpft man nicht. Was kannst du uns Menschen sein, wenn du so sehr in deinem Göttlichen verhaftet bleibst?

Man fordert Götter nicht zum Kampf heraus. Sie besiegt man durch Vergessen. Bis sie nur noch Geschichten sind in den Büchern und den Liedern der Alten. So muss es zugehen mit Göttern, die grausam meist ihren Anspruch fordern.

Wir nähren sie und geben ihnen ihre Macht durch Erinnerung, durch Verehrung. Mit unserem Leid und dem Blut, das wir in ihrem Namen unter uns vergießen, halten wir sie am Leben. Unsere Verzweiflung ist ihre Nahrung. Und allzu leichtfertig oftmals, sind wir dazu bereit. Sie gönnen uns dafür Zeit wieder aufzubauen, was wir in ihrem Namen, welcher das auch immer ist, zerstörten, wieder und wieder. So wie sie uns im Frühling gönnen, was sie uns im Herbst wieder nehmen. Frieden nennen wir das. Sollte Friede nicht mehr sein als nur die Abwesenheit unserer Kämpfe?

Was, wenn wir endgültig gottlos sind? Könnten wir das überleben oder schüfen wir uns unsere Götter aus uns selbst heraus?

Darauf fehlt dir die Antwort, oder, Sisyphos? Das weißt du nicht zu beantworten. Du weißt nicht, wie die Welt ohne dich wäre. Du willst es dir nicht vorstellen, dass der Mensch ohne deinesgleichen sein kann. Weil du sie ebenso brauchst, die Erinnerung der Menschen, wie deine Feinde auf dem Olymp.

Noch geben wir zu bereitwillig den Göttlichen Macht über uns. Halten sie unsere Angst vor Verantwortung und die Furcht vor dem Mut zur Entscheidung am Leben und wir nähren die Götter noch immer mit unserem Blut. Noch, Sisyphos, noch.

Vergib mir meine Offenheit, Sisyphos, aber eines Tages, dessen bin ich sicher, werden wir Dich voller Gnade vergessen und deine Mühen beenden. Dann erlösen wir Menschen dich von Deiner gottgegebenen unsterblichen Mühsal. Mit deinen Göttern werden auch ihre Flüche vergessen werden. Mit ihnen wirst dann auch du in Vergessenheit geraten, weil deine Mahnung nicht mehr von Nutzen sein wird für uns und weil wir unsere Fäden dann selbst spinnen und Mensch sein werden dem Menschen. Eines Tages, das sei dir versprochen, bei allen Göttern des Olymp.

Kassandra

Kassandra, du Arme. Wie schwer muss dein Schicksal dir auf deinen schmalen Schultern wiegen?

War es weiblicher Stolz, war es mädchenhafter Leichtsinn den Apoll herauszufordern?

Er, der eitelste unter den Göttern, hatte sich dir nähern wollen. Du hattest ihn, was Männern bei Frauen nie gelingt, durchschaut. Du wusstest, dass er sich mit dir als Trophäe schmücken wollte. Du wolltest dich ihm nicht hingeben für sein, und nur sein, Vergnügen und seinen späteren Prahlereien.

Wie hättest du später entschieden, nachdem sein Zorn und sein Fluch dich traf? Genauso? Womöglich.

Wie entsetzlich musste es sein zu wissen und unerhört zu bleiben? Die du warnen und retten wolltest, um deiner Liebe zu ihnen, sie glaubten nicht. Sie sahen nur das Mädchen, das der Fallsucht anheimfiel, dem Wahn, in ihren Augen. Ein Mädchen warst du für sie und später eine Frau, welches die Götter straften, wofür auch immer. Nicht liebenswert warst du für sie. Nur seltsam erschienst du ihnen.

Ein Vater blieb dir als Kind, dem du geliebte Tochter warst, für wenige Jahre. Als du das erste Mal blutetest, übergab er dich den Frauen. Nicht mehr länger unbeschwert durftest du dich ihm nähern. Ein König war Priamos dir fortan, der einmal dich in seinen Armen wiegte.

Und die kühle Hekabe, fand mütterliche Zuneigung für deine Brüder nur. Wenig Interesse zeigte sie dir, dem gezeichneten Kind. Deine Amme Aithra war dir mehr Mutter, als sie.

Die Mutter liebte ihre Söhne. Waren sie es doch, die als Thronfolger ihre Position in Troja sicherten. Durch sie nur blieb sie Königin. Durch sie konnte man ihr den missratenen Wurf der Zwillinge verzeihen. Denn auch dein geliebter Helenos, dein Zwilling, war gezeichnet. Die Mutter war sicher, du hattest ihm, Ihren Sohn, die Fallsucht angetan, ihn angesteckt mit deinem Wahn bereits in ihrem Leib.

Du selbst, Kassandra, hattest dich in deine Rolle zu fügen. Auch als Apollon dich zu seiner Priesterin erwählte. Doch war es tatsächlich Apoll? Hatte nicht Hekabe den Vorschlag gemacht, dich dem Apollon zu weihen? Wollte sie nicht die Unbequeme, die Nutzlose aus den Augen haben? Die sich nicht verheiraten ließ, weil sie ungezähmt blieb und der, mit Misstrauen, man überall begegnete. Du fügtest dich darin, warum auch nicht?

Aber dann erkanntest du, als Mädchen noch, den eitlen Gott als er dir gegenüberstand. Du nahmst sein Geschenk an, ohne Gegenleistung. Aber er war nicht als Freund, als Mann, war er gekommen. Nicht unschuldig spielen wollte er mit dir, wie einst dein Vater. Ahntest du es anfangs nicht, so wusstest du es bald. Ohne wirklich zu erkennen wie verletzlich die männliche Eitelkeit sein kann.

Dabei kanntest du sie doch bereits, nur ahntest du nicht, wie rasch sie in Zorn umschlagen kann. Du kanntest deinen Vater, du kanntest deine Brüder. Der stolze und starke Hektor. Er sollte eines Tages der Nachfolger eures Vaters werden, so war es geplant. Und dann Paris, ja Paris, der schönste unter deinen Brüdern. Er war nicht so mutig und stark wie Hektor, aber sein Anblick, schien Priamos ihm alles zu erlauben, ihm alles zu verzeihen.

Du wusstest es, Kassandra. Du wusstest, was diese blinde Liebe des Vaters Troja und dir eines Tages antun würde. Hattest es gesehen in deinen Visionen. Du wusstest, dass Menelaos sich sein Weib nicht von einem verwöhnten Knaben nehmen lassen würde. Gewarnt hattest du sie. Wieder und wieder hattest du es ihnen gesagt. Hütet euch vor den Griechen, sollst du gerufen haben, auch wenn sie Geschenke bringen. Aber sie hatten dir nicht geglaubt. Der Fluch des Apoll wirkte längst gegen dich.

Dein liebster Bruder Helenos, dein Zwilling, nur, war auf deiner Seite. Er sah, was du sahst, sah das Unausweichliche. Aber er schwieg im Angesicht der Ungläubigkeit. Der Vater schien blind, wie seine Priester auch. Männer allesamt, die dem König nur flüsterten, was er zu hören bereit war.

Die Schönheit des eigenen Sohnes blendete ihn, dass er nicht erkennen konnte, was du erkanntest. Selbst als die Schiffe der Griechen vor der Küste lagen, zeigte er keinerlei Zorn über die Torheiten des Sohnes und nahm Helena wie eine geliebte Tochter auf, obgleich sie ihre eigene Tochter Hermione zurückgelassen hatte. Was galt ein Mädchen ihm? Was galt eine Frau in der Welt der Männer? Was galt den Königen eine Tochter? Hatte nicht Agamemnon selbst seine Tochter Iphigenie geopfert, um günstige Winde bloß? Die Griechen hätten es gefordert, soll er später sich gerechtfertigt haben. Welcher Vater ließe so etwas von sich fordern?

Priamos hätte Helena zurücksenden müssen an den rechtmäßigen Gatten Menelaos. Der Vater konnte es nicht, aus Gewohnheit Paris` Wünschen nachzugeben. Bei ihm blieb der König abwesend. Bei ihm regierte er nicht.

Stattdessen wandte sich des Königs Zorn gegen dich. Als hätten deine Vorhersagen all das, was folgte, ausgelöst. Der Botin galt sein Zorn, nicht dem Verursacher. Dir, der Unerhörten, warf er vor, was er seinem Sohn nicht vorwerfen wollte. Zu groß wäre die eigene Bloßstellung gewesen. Ein König war er, wo er hätte Mensch sein müssen, um seiner Selbsttäuschung willen. Und ein Vater war er, wo er hätte ein König sein müssen, um Trojas willen.

Von dir forderte er nun Priesterin zu sein. Dem Apoll solltest du den Sieg über die Griechen abringen. Ihn, den du so tief gekränkt hattest, solltest du anbeten, anflehen für einen Sieg. Du konntest es nicht. Wie denn auch? Und hast den Vater enttäuschen müssen. Du konntest ihm nur die Wahrheit sagen. Die Wahrheit, von der er nichts wissen wollte und für die er dich schmähte.

So blieb euch nur dein Bruder Hektor als Hoffnung, bis Achill diese Hoffnung verspottete und zuschanden machte. Aber was hätte den Troern die Stärke des Hektor gegen die List des Odysseus nützen können? Hielt doch die weise Athene ihre schützende Hand über den Ithaker, während Troja von allen Göttern verlassen schien.

Wie hattest du gefleht, Kassandra. Hast geweint, gebettelt. Du hast sie angeschrien. Dich voller Verzweiflung auf dem Boden gewälzt. Hütet euch vor den Geschenken der Griechen, hattest du wieder und wieder gerufen, deren Preis ist das Verderben. Aber sie glaubten dir nicht. Du warst ein Weib, das von Sinnen schien. Deine Visionen deuteten sie wie immer als Wahn. Hatten die Götter doch, so glaubten sie, ihnen einen leichten Sieg geschenkt. Sie wollten ihrem Wunsch mehr glauben nach den Jahren, als deiner Gewissheit. Betrunken vom Wein und vom vermeintlich guten Ende öffneten Sie dem Tod die bisher unüberwindlichen Tore und empfingen ihn mit offenen Armen.

Arme Kassandra, wie schwer muss dein Schicksal gewogen haben in jener Nacht. Du hattest es gewusst. Du hattest es kommen sehen und konntest sie nicht warnen. Unerhört blieb dein Rufen, dein Flehen. Das Geschrei der Trunkenen übertönte deine Warnung, bis es im Geschrei der Sterbenden unterging.

Du musstest dies überleben, so entschied Apoll. Du musstest dem alten eitlen Agamemnon zu Willen und zu Diensten sein. Er schmückte sich mit dem Sieg, den Odysseus errang. An dir aber lebte er seinen Zorn über Paris aus. Machte aus dir eine Sklavin. Seht her, rief er bei seinem Gelage, seht her, wie eine troische Königstochter einem wahren König Wein einschenkt.

Den wahren Sieger, Odysseus, hattest du rasch ausgemacht. Hattest ihn erkannt an seinem verhaltenen Jubel, an den höhnischen Blicken, die er für Agamemnon hatte. Hattest die beruhigende Hand des Ajax auf dessen Schulter gesehen. Die Hand dessen, der dir Gewalt angetan hatte in deinem Tempel.

Wie zufällig berührtest du Odysseus beim Nachschenken. Das genügte dir sein Schicksal zu sehen und den Weg, den die Götter beschlossen hatten für ihn.

Aber du sahst auch, was sie für dich beschlossen hatten, oder Kassandra? Du sahst die Untreue Klytämnestras, des Agamemnon Weib, und deren Liebhaber Aigisthos. Du wusstest, dass sie deine Gabe fürchteten. Zu leicht konntest du sie durchschauen. Zu leicht wäre es für dich ihre Beziehung dem Agamemnon zuzutragen und den Platz an seiner Seite, Klytämnestra, womöglich streitig zu machen.

All das wusstest du und tatest nichts davon. Hast stattdessen deinen Tod als Erlösung erwartet, als Erleichterung. War es nicht so, Kassandra? Hattest du nicht in deinen wenigen Jahren so viel gesehen und sahst es noch, wie wohl nur eine Frau es ertragen kann? Und nichts davon hattest du ändern können. Nichts davon hattest du verhindern können. Apoll hatte das zu verhindern gewusst, in seinem Zorn über deine Verweigerung.

Ich glaube dir, Kassandra, dass du müde warst von alldem und endlich ruhen wolltest. Ich glaube dir.

Odysseus

Sei gegrüßt, König von Ithaka. Friede sei deinem Palast und deinem Land!

Oder darf ich Freund dich nennen? Wenn ich auch das erste Mal zu Dir spreche, Odysseus, so bist du doch vertraut mir, seit Kindertagen.

Ich weiß den Tag nicht mehr, an dem Homers Bericht mir in die Hände fiel. Doch seit dem begleitete ich dich mehrfach durch deine Reisen und Kämpfe und jedes Mal mit einem andern Blick.

Als Kind, so erinnere ich mich, warst du mir der kluge, listenreiche und strahlende Held, der soviel auf sich nahm, nur um wieder heimzukehren zu seiner Frau und seinem Sohn. Das rührte mich. So wollte auch ich werden, später einmal. Und so war ich zu meinen Geschwistern und meiner Mutter, nach besten Kräften. Ich wurde als Knabe schon, was ein Vater sein sollte, der nicht war.

Später dann, als ich dir wieder begegnete, hatte das Leben mir erste Wunden geschlagen und ich las, dass du Befehlen folgtest von einem, der sein Weib nicht halten konnte. Menelaos war ihren Wünschen nach immer neuem Tand und Schmuck überdrüssig geworden, wie man sagt. Paris dagegen, ein junger Schönling und Troja reich, soll geblendet von ihrer Schönheit gewesen sein. Doch die eigene Tochter, sogar, ließ Helena zurück bei Menelaos. Sie wollte sie nicht. Sie störte sie, bei ihrem Abenteuer vom erträumten Leben. So kann es gehen, wenn man sein eigenes Maß verliert, wenn die eigenen Grenzen nicht mehr gelten.

Aber ich muss dich fragen, Odysseus, war Menelaos nicht Manns genug, im Zweikampf gegen Paris, sich sein Weib zurückzuholen? Wäre das nicht ehrenhafter gewesen, in euren Augen? Wäre das nicht eine bessere Lösung? Oder glaubtet ihr tatsächlich, seine Ehre wäre einen Krieg und den Tod vieler Helden wert, weil ihr gebunden wart durch euren Schwur zur Wahl der Helena?

Für eine solche Frau hast du dein eignes Weib und deinen Sohn verlassen. Dein Schwur unter früheren Buhlen jener Frau, unter Männern, war dir und anderen Königen mehr wert, als euer Heim und eure Familien?

So wollte ich nicht werden. So ein Mann wollte ich nicht sein. Kein Vorbild warst du mir zu dieser Zeit.
Jung war ich damals und Widerspruch war ein Teil von mir, gegen alle Obrigkeit. Leicht fiel mir, mich zu widersetzen. Ohne Verantwortung für andere, inzwischen, war es leicht über dich zu richten. Dem Paris ähnlich, war ich wohl zu dieser Zeit und mein Mut war billig, wenn ich zurück blicke.

Verzeih, Odysseus, wenn ich so offen zu einem König spreche. Aber das Weiß meiner Haare verleiht mir, glaube ich, das Recht. Wir sind alt geworden, jeder in seinem Denken und mit seinen Gebräuchen und womöglich hast du recht, wenn du auf die Zeiten verweist. Andere Regeln galten und die Götter spannen eure Lebensfäden.

Ja, es ist bis in unsere Zeit überliefert, wie die Dinge liefen. Wie die Göttin Eris Zwietracht säte mit dem goldnen Apfel. Zeus schwieg weise, doch Paris, der jugendliche Narr, schwang sich zum Richter auf und ahnte nicht um den Zorn verschmähter Götter. Der Aphrodite sprach er den Apfel zu. Sie hatte seine Eitelkeit am klarsten durchschaut und Helena ihm versprochen. Das machte Hera und Athene eifersüchtig und ließ sie Krieg führen gegen Paris` Heimat.

Athene war dir zugetan, ich weiß. Sie schützte dich auch vor Poseidons Zorn, nachdem du dessen Sohn, den einäugigen Polyphem, geblendet hattest.

Aber wollte man menschlich urteilen, so könnte man dem Priamos bereits die Schuld an dem zusprechen, was Troja erlitt. Nie hatte er seinem Sohn Grenzen aufgezeigt, nie hatte er ihm einen Wunsch ausschlagen können, will man Kassandra glauben. Zu viel Liebe oder die falsche kann den Empfangenden verderben und blind machen für die Folgen seines Tuns.

Doch so geschah, was die Göttinnen ersonnen und uns überliefert wurde bis heute.

Zehn Jahre wart ihr Griechen schon vor Troja. Zehn Jahre von zu Hause fort. Da fiel dir deine List ein. Euch war sie Rettung. Euch brachte sie zurück zu den Euren. Doch Troja war nicht mehr, auch Paris nicht und die Troer sind uns nur Erinnerung.

Weitere zwölf Jahre warst du den Launen Poseidons ausgeliefert. Bis deine Beschützerin Gnade für dich auf dem Olymp erwirkte. Da glättete Poseidon widerwillig die Wogen und gab dich frei.

Dein Weib hatte viel erlitten in diesen Jahren. Doch sie war dir treuer geblieben, als du ihr. Dein Sohn war zu einem stattlichen Jüngling herangewachsen. Du warst nicht da, hast nie in deinen Armen ihn wiegen können. Hast nie gespielt mit ihm, wie Väter spielen mit ihren Söhnen. Konntest ihm nicht lehren, was ein Vater seinem Sohn lehren sollte, was ein König seinem Nachfolger lehren muss. Seiner Mutter fielen diese Aufgaben zu, zu den Aufgaben, die der Mutter ohnehin zukommen. Du hattest all das nicht sehen können, nicht tun können, nicht erleben können, wegen eines anderen Weib, einem Phantom nur, wie manche behaupten.

Herodot, der Dichter, schrieb, Helena sei nie in Troja gewesen. In Ägypten stattdessen, soll sie gesehen worden sein. Ich will nicht spekulieren, ob sie des naiven Jünglings schnell überdrüssig war und sich dem nächsten zuwandte. Ob sie zu Menelaos wieder wollte und dann sich nicht traute heim zu kehren. Zu ungewiss wäre das, zu gewagt die Behauptung. Dennoch erscheint es mir möglich, Odysseus.

Aber war Troja nicht reich geworden durch den Handel? War Troja nicht der Marktplatz zwischen Ost und West? Trafen sich vor Troja nicht lange schon die Kaufleute, um Handel zu treiben? Zahlten sie nicht bereitwillig an Troja für Schutz und Steuer? Kann es nicht sein, dass Ihr Griechen, ob Menelaos, dessen Bruder Agamemnon und auch Du selbst, Odysseus, es ihnen neidetet?

Wie beginnt man einen Krieg, der in Wahrheit ungerecht ist? Man macht ihn gerecht für sich durch Lügen. Redet ehrlos und verkommen den Feind, verleumdet seinen Gegner. So tötet er sich leichter. So tötet man nicht Menschen, die uns gleichen in den Sorgen, Nöten und der Liebe, die sie teilen mit uns.

Ich will gerecht sein. Auch die Troer taten so und lange noch bevor der erste Pfeil die Luft durchschnitt, flogen die Lügen durch die Stadt. Je öfter, desto wahrer wurden sie, so ist es bis heute. Ganz gleich wie schlecht diese Lügen waren, ganz gleich wie fadenscheinig ihre Worte. Und wehe dem, der sie als Lügen erkannte und nicht schwieg. Wehe dem, der sie öffentlich bezweifelte.

Neue Wörter wurden erfunden und zu Feinden wurden die Nachbarn nun erklärt, nachdem die Kinder gestern noch gemeinsam spielten und die Männer tranken vom gleichen Wein. Verdächtig waren Griechen über Nacht unter den Troern, wie Juden später unter Christen oft. Konspiration war auch ein neues Wort. Ein Konspirateur, jeder Grieche, der seinem Volk nicht abschwor oder floh zur rechten Zeit aus Troja. Der fiel den neuen Worten und den Empörten rasch zum Opfer.

Ist es nicht so, Odysseus? War nicht der eigentliche Grund für Trojas Ende die Lüge auf beiden Seiten? Habt ihr nicht in Wirklichkeit um eurer Lügen und eurer Gier, das Ende Trojas beschlossen? Weil euch euer Überfluss nicht genug war? Weil ihr neidetet, was den Troern war? Nicht zulassen wolltet ihr, dass sie genossen, was ihr, die Griechen, noch nicht hattet.

Wir hatten von deinem Leid, über die Jahre, nichts wissen wollen, es hätte uns den Glanz aus unseren Augen genommen. Vor dem, was du in Wirklichkeit sahst, verschlossen wir gern die Augen.

Aber wärest du kein König, Odysseus, wir hätten nie erfahren von dir. Kein Held wärest du gewesen als einfacher Soldat, der vor Tagen noch Bauer war oder Zimmermann, bevor er durch Könige in die Armee gepresst. Und kein Held wurde aus dem troischen Töpfer, der in jener Nacht in seiner Gasse niedergestreckt von einem Griechen wurde, den er nicht kannte. Keine Heldin, wurde aus der Hekate Magd, die ihren Kindern nicht beistehen konnte, als man sie metzelte. Wie wir auch von all den anderen namenlosen Toten auf beiden Seiten nichts erfuhren.

Aber kann ich darum urteilen über dich, Odysseus? Wer bin ich, dass ich Moral als Maß an dich in deiner Zeit lege. Durch alle Zeiten der Menschen ziehen sich die Kriege um unserer Phantome willen, wie Ariadnes Faden.

Wir führten unsere Kriege um heilige Stätten, vorgeblich gestohlenes Land oder Vieh, um den rechten Glauben und anderes mehr. Wir erlogen Überfälle, die es nicht gab und töten unserer Phantome wegen, bis heute. Dabei wissen wir doch insgeheim, dass wir dem Anderen nur neiden, was wir nicht auch besitzen.

Seit tausenden Jahren haben wir deine Geschichte und die, vom Schicksal Trojas, gelesen. Wir kannten eure Abenteuer und sahen euren Heldenmut und eure Tapferkeit, nur. So hatte zuerst Homer sie uns überliefert und so hatte auch ich sie gelesen als Kind.

Die Worte, Feind und Gegner, bedeuteten mir nichts. Mein Land gedieh in der friedlichen Zeit, in der ich aufwuchs und alt wurde. Die anderen lebten unter uns und mit uns und Gast war ich oft bei ihnen. Aber jetzt begegnen mir diese Worte wieder. Sie wollen mir ihre Bedeutung aufzwingen. Ich will sie nicht glauben, nicht hören. Das macht mich dann wohl zu einem Feind, einem Konspirateur. Aber zu wessen? Zu dem der Meinen? Zu dem meines Nachbarn vielleicht, der diesen Lügen aufliegt? Schon Unwissenheit kann genügen, dass wir uns an die Kehle gehen. Wir haben nichts gelernt seit deiner Zeit, Odysseus, nichts verstanden.

So muss ich jetzt eingestehen, dass ich dir nichts vorzuwerfen habe. Nicht urteilen darf ich über dich. Wir haben deine Abenteuer gelesen, haben von deinem Listenreichtum erfahren, nur um nichts zu lernen aus ihnen, als dass die List ein Mittel ist, um andere zu besiegen.

Nicht hinzu gelernt haben wir, will es scheinen, über die Zeit. Nicht, was die Kriege anrichten, mit den Menschen immer wieder, verstanden wir. Nicht verstanden wir deine Leiden durch all die Jahre und nicht die Leiden und Verluste deiner Männer und nicht die Trauer eurer Frauen. Noch immer folgen wir den Phantomen unserer Arroganz und Gier. Noch immer.

So muss ich mich denn von dir verabschieden, alter Freund und dankbar sein, für deine Belehrung. Und dankbar auch, dass ich dich bis zu unseren alten Tagen begleiten durfte. Auch wenn unsere Schicksale sich womöglich näher kommen, als uns lieb sein kann.

Und nichts scheint mir zu bleiben in dieser Zeit, als inständig Frieden dir und mir zu wünschen in allen Tagen. Aber wir zwei wissen in unserem Alter, dass Wünsche durch Taten nur erfüllt werden.

Vergessen sollten wir nie: Die Götter spinnen unsere Fäden, wenn es uns nicht gelingt sie daran zu hindern.

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