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Tolerieren wir unsere Demokratie zu Tode?

Toleranz bezeichnet die Bereitschaft, Meinungen, Verhaltensweisen oder Eigenschaften von Individuen oder Gruppen zu akzeptieren, die von den eigenen abweichen. Sie ist ein wichtiger sozialer und ethischer Grundsatz, der in verschiedenen Kontexten angewendet wird, einschließlich der zwischenmenschlichen Beziehungen, der Politik, der Religion, der Kultur und mehr.

Politisch gesehen bezieht sich Toleranz auf die Anerkennung und Akzeptanz von unterschiedlichen politischen Ansichten innerhalb einer demokratischen Gesellschaft. Eine tolerante Gesellschaft ermöglicht es den Menschen innerhalb der allgemein gebräuchlichen gesellschaftlichen Sitten, ihre Meinungen frei zu äußern und an politischen Prozessen teilzunehmen, ohne Repressalien zu befürchten.

Es ist wichtig zu beachten, dass Toleranz nicht bedeutet, dass man alle Meinungen oder Handlungen gutheißen oder als demokratisch ansehen muss. Sie bezieht sich darauf, Unterschiede innerhalb des gesellschaftlichen Kontextes anzuerkennen und in einem respektvollen und friedlichen Rahmen damit umzugehen.

Obwohl allen Menschen in Deutschland, zumindest theoretisch, die gleichen Informationen und die gleichen Quellen für Informationen zur Verfügung stehen, unterscheiden sich die Erkenntnisse und Schlussfolgerungen von Mensch zu Mensch, von Gruppe zu Gruppe, mitunter recht stark. Unsere Zeit und unser Land sind von einer Vielfalt und Individualität geprägt, zumindest versichern wir uns das immer wieder gegenseitig. Mir stellt sich in dieser Zeit vielmehr die Frage, ob wir unsere Gesellschaft und unsere Demokratie aktuell zu Tode tolerieren.

Toleranz war einst ein nobler humanistischer Wert, der darauf abzielte, Unterschiede anzuerkennen und ein respektvolles Miteinander zu fördern. Ebendies, scheint mir, könnte zunehmend in Gefahr geraten. Gern möchte ich ein Nachdenken darüber anregen, wie die Toleranz der einen durch die Intoleranz anderen missbraucht wird und welche Folgen dies für unsere Gesellschaft in absehbarer Zeit haben könnte.

Die Idee der Toleranz hat ihren Ursprung in der Anerkennung der Menschenrechte und der Gleichheit aller Menschen, unabhängig von ihren Unterschieden. Das setzt jedoch auch voraus, dass es hierfür einen gesellschaftlichen Konsens gibt. Entstanden ist sie aus dem Wunsch, eine harmonische und friedliche Gesellschaft zu schaffen, in der Menschen in der Lage sind, ihre individuellen Überzeugungen und Lebensweisen zu leben, ohne Angst vor Diskriminierung oder Verfolgung zu haben. Viele Jahre hat das in Deutschland funktioniert, da es eine genügend große Schnittmenge an Gemeinsamkeiten und Homogenität in der Gesellschaft gab. Der vorherrschende Konsens wurde allgemein anerkannt.

Doch mit der Wende änderte sich das. Der neue Teil der Gesellschaft war in einer Scheindemokratie geprägt worden, die klare Züge einer Diktatur trug. Während das Gros der Ostdeutschen die gewonnene Demokratie als Befreiung empfand, verloren politische Kader, zumindest vorerst, ihre Macht und ihren Einfluss. Das westliche System, an Toleranz und Demokratie gewöhnt, bot den Initiatoren und Mitläufern der abgeschafften Diktatur eine neue politische Bühne. Es war davon überzeugt, mit Diskussion und Intellekt die Prinzipien der Demokratie auch an sie herantragen zu können.

Dieses Unterfangen war zum Scheitern verurteilt, schließlich basierten beide Systeme auf grundlegend unterschiedliche Prinzipien. Mittlerweile sind die westlichen Grundlagen, wie das Leistungsprinzip, marktwirtschaftliche Prinzipien und allgemeine bürgerliche Werte, wie Rechtsstaatlichkeit, Respekt vor Eigentum, Selbstverantwortung, Familie, Bildung, Arbeitsethik kaum noch positiv in öffentlichen Disputen vertreten und wurden ersetzt durch den sogenannten „Wokismus“, der nunmehr intolerante Themen wie Diskriminierung, Rassismus, Sexismus, LGBT-Rechte und andere empfindungsgesteuerte Vokabeln vertritt. Mir erscheinen diese Begriffe als reine Kampfbegriffe, werden sie doch nicht selten dazu genutzt, um andere Meinungen aus dem Diskurs auszuschließen.

Während die Toleranz der Einen dazu dient, Akzeptanz zu vertreten, führt sie aktuell dazu, dass wir gefährliche Verhaltensweisen tolerieren und durch nutzlose Dispute sogar fördern. Wir übernehmen nicht nur die Vokabeln dieser Intoleranz, auch unsere Ausgangspunkte für Argumentationen haben sich schleichend in Richtung der gewollten Themen verschoben.

Ein Beispiel für den potenziellen Missbrauch von Toleranz liegt, nach meiner Ansicht, in der zunehmenden Tendenz, extremistische oder diktatorische Ideologien unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit zu verbergen. Während es wichtig ist, die Meinungsfreiheit zu schützen, müssen wir uns auch der Tatsache bewusst sein, dass einige Ideologien Gewalt und Hass bis hin zu persönlichen Angriffen fördern oder zumindest tolerieren.

Mir stellt sich die Frage, ob wir aus falsch verstandenem Humanismus oder bereits aus Angst vor diktatorischen Maßnahmen extremistische Ansichten tolerieren und klein zureden versuchen. Letztendlich aber gefährdet eben dies das Fundament unserer Gesellschaft. Auch eine Demokratie sollte wehrhaft sein! Auch die Toleranz muss ein „Bis hierhin und nicht weiter“ kennen!

Toleranz gebietet es zunächst einmal, Unterschiede zu respektieren und zu akzeptieren, da gehe ich absolut mit. Doch was passiert, wenn intolerante und undemokratische Praktiken, seien sie verbal oder physisch, akzeptiert und nicht geahndet werden? Hier stoßen offensichtlich einige Disputanten auf die schwierige Balance zwischen Intellektualität und demokratischer Selbstaufgabe. Sie wähnen sich überlegen und gefestigt genug sich dieser Intoleranz zu stellen und diesen Protagonisten Raum zu lassen. Dabei bieten sie denen eine Bühne für ihr Denken und Handeln, die Freiheit und Toleranz als Gefahr ansehen. Offensichtlich verharrt auch die Demokratie in ihrer Erfahrung und Methodik ohne den Umfang der Gefahr umfassend zu erkennen .

In dem Bemühen, kulturelle oder politische Empfindlichkeiten zu respektieren, zögern zu viele Menschen, klare Konsequenzen zu ziehen. Sollten wir uns wirklich solch schädlichen Praktiken aussetzen oder ihnen gar durch endlose und nutzlose Diskussionen einen Boden bereiten? Hier stellt sich mir die Frage, ob es wirklich so schwer zu erkennen ist, dass eben grenzenlose Toleranz uns in diese politische Situation gebracht hat.

Demokratie ist für mich auch eine empfindliche Gesellschaftsform. Sie basiert auf der Balance zwischen verschiedenen Interessen. Diese Balance muss ständig austariert werden. Dazu gilt es, mit anderen willigen Kräften im Gespräch zu bleiben, um den Konsens aufrecht zu erhalten.

Was aber, wenn es Kräfte in der Gesellschaft gibt, die nicht nur unwillig sind diesen Konsens zu akzeptieren, sondern bemüht sind diesen vollständig zu beseitigen? Ist es dann nicht an der Zeit, sich daran zu erinnern, dass Demokratie auch ständig verteidigt werden muss?

Die Grenzen der Toleranz sind nicht immer klar definiert. Ich muss mich zurzeit fragen, ob wir uns nicht in einer Situation befinden, in der Toleranz möglicherweise für eine Zeit zurückgenommen werden sollte, um unsere fundamentalen Werte und die Sicherheit der Gesellschaft zu schützen. Diese Frage mag die Gefahr beinhalten, in eine Art moralische Überlegenheit zu verfallen, in der eine Gruppe entscheidet, welche Ansichten oder Praktiken akzeptabel sind und welche nicht. Es ist eine Gratwanderung zwischen der Sicherung von Freiheit und dem Schutz vor potenziell schädlichem Verhalten. Aber ist Demokratie nicht immer auch das? Ist Demokratie nicht immer die Herrschaft der vorherrschenden Meinung? Ich sehe das zumindest so.

Um eine sinnvolle Antwort auf die Frage „Tolerieren wir unsere Demokratie zu Tode?“ zu finden, muss ich mir auch die Frage stellen, ob ich bereit bin, mich auf den Dialog mit undemokratischen Kräften einzulassen? Es ist mir wichtig, dass wir uns bewusst werden, dass Toleranz missbraucht werden kann. Dies erfordert eine kritische Selbstreflexion, eine offene Diskussion über die Grenzen der Toleranz und die Bereitschaft diese zu verteidigen. Das ist nach meiner Auffassung auch möglich, indem ich Intolerante intolerant behandele in dem ich sie aus meinem Umfeld – zumindest vorübergehend – ausschließe. Ich persönlich glaube nicht, dass es dasselbe ist, wenn zwei das Gleiche tun. Wer nicht bereit ist, den gesellschaftlichen Konsens zu akzeptieren, sondern versucht ihn womöglich zu zerstören, hat für mich das Recht verwirkt, an ihm teilzuhaben. Wie wir gefährliche Teilnehmer aus dem Straßenverkehr ausschließen, sollten wir auch das Recht in Anspruch nehmen, gefährliche Teilnehmer aus dem gesellschaftlichen Disput auszuschließen.

In unserer Zeit, die von Widersprüchen geprägt ist, müssen wir uns darauf zurück besinnen, Verantwortung für unsere freiheitliche Gesellschaft zu übernehmen. Es liegt an uns, die Grenzen der Toleranz zu bewahren und gleichzeitig gegen demokratiegefährdende Ideologien und Praktiken vorzugehen.

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