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Eristik – Der Dolch im Dialog – oder der Zwang Recht zu behalten

Eristik - Der Dolch im Dialog - oder der Zwang Recht zu behalten

Eristik, die Kunst des Streitens, ist eine Disziplin, die tiefe Wurzeln in der menschlichen Kommunikation hat. Der Begriff „Eristik“ stammt aus dem Griechischen und bedeutet so viel wie Streit oder Zank. Es handelt sich dabei um eine Methodik, die in der Antike bereits angewandt wurde, und deren Prinzipien sich bis heute in verschiedenen Formen der Rhetorik und Dialektik erhalten hat. Eristik ist das Streben nach dem Sieg in einer Diskussion um jeden Preis. Eristik bedeutet, nicht nur zu sprechen, um gehört zu werden, sondern auch zuzuhören, um die Argumente seines Gegenübers verstehen zu können, um so dessen Person und/oder dessen Argumentation effektiv zu untergraben.

In der griechischen Mythologie war Eris die Göttin der Zwietracht und des Streites. In der Philosophie der Antike verwendeten Platon und Aristoteles Eristik ursprünglich als Begriff für den wissenschaftlichen Meinungsstreit, insbesondere aber auch für das Streiten um des Rechthabens willen. Sie meinten damit die von den Sophisten entwickelte Dialogtechnik, mit der – beispielsweise in gerichtlichen Auseinandersetzungen – alles bewiesen oder auch alles widerlegt werden konnte. Platon favorisierte stattdessen als gerechtfertigtes Argumentationsverfahren die von Zenon von Elea entwickelte Dialektik. Aristoteles bewertete die Eristik ebenfalls negativ und zählte den eristischen Syllogismus zu den Sophismen (Trugschlüssen).
Die Megariker, die Anhänger des Sokrates-Schülers Euklid von Megara, wurden auch als Eristiker bezeichnet. Von ihnen stammen die frühesten Untersuchungen zur formalen Logik, insofern ist der Begriff Eristik im Zusammenhang mit der antiken Philosophie keinesfalls nur negativ besetzt. Er bezieht sich auch auf eine Struktur des gültigen Beweises und seine Widerlegung.

Quelle: Wikipedia

Insbesondere in gegenwärtigen politischen Diskussionen erleben wir des Öfteren, dass z.B. in den X-Spaces, nicht die Argumentation, also die Aussagen, einer Seite von der jeweils anderen Seite attackiert oder widerlegt werden, sondern die Person selbst, die Argumente zur Diskussion stellt. Dabei wird die Kompetenz der Person und/oder deren Seriosität in Frage gestellt, oder eben die Glaubhaftigkeit seiner Informationsquellen.

Wir erinnern uns, als Beispiel, an die Vorgänge um Prof. Sucharit Bhakdi. Hier wurde wissenschaftliche Kompetenz um einer politischen Agenda willen systematisch demontiert. Eine kurz zuvor noch hochgeschätzte und akzeptierte Persönlichkeit, die unzählige Studenten zu qualifizierten Mediziner und Wissenschaftler ausbildete, wurde über Nacht zu einer persona non grata und später sogar kriminalisiert, auf Grund einer politisch gewollten Maßgabe. Gleichzeitig wurden themenfremde, aber rhetorisch begabte Personen auf Grund ihrer politischen und finanziellen Nähe zum gewollten Ziel gefördert und zu alleinseligmachenden „Wissenschaftlern“ erklärt. Die Zeit hat, nicht nur diesbezüglich, die Wahrheit längst bewiesen und die Unwahrheiten aufgedeckt.

Um die Eristik zu verstehen, müssen wir die Denkweise der griechischen Philosophen betrachten, die sich nicht nur auf die Suche nach Wissen konzentrierten, sondern auch auf die Kunst der Überzeugung und des Widerlegens. Sokrates, bekannt für seine dialogische Methode, die darauf abzielte, die Denkweise seines Gegenübers zu hinterfragen und Widersprüche aufzudecken, legte den Grundstein für die eristische Argumentation.

Die Sokratische Methode, ein instrumentelles Werkzeug der Eristik, nutzte eine Serie von gezielten Fragen, die darauf abzielten, die Logik und Konsistenz der Argumentation seines Gesprächspartners in Zweifel zu ziehen. Durch diese Technik konnte Sokrates, tatsächliche oder unterstellte Widersprüche aufdecken und seinen Gegner dazu bringen, seine Position selbst anzuzweifeln, zumindest aber Zweifel unter den anderen Zuhörern zu säen. In gewisser Hinsicht kann man sagen, dass die sokratische Eristik eine Vorläuferin der gegenwärtigen eristischen Praktiken war.
Aristoteles, trug ebenfalls zur Entwicklung der Eristik bei. Er unterschied bereits zwischen „Eristik“ und „Dialektik“. Während die Dialektik nach Wahrheit strebte, konzentrierte sich die Eristik auf den Sieg im Argument, unabhängig von der Wahrheit.

Eristik in der Gegenwart

Die Entwicklungen des 20. Jahrhunderts brachten neue Dimensionen für die Eristik. Die Herausforderungen der modernen Technologie, die Globalisierung und die schnelle Verbreitung von Informationen schufen eine komplexe Arena für eristische Auseinandersetzungen. Die Medien, insbesondere das Fernsehen und später das Internet, spielten eine entscheidende Rolle bei der Verbreitung von eristischen Argumentationen.

In der heutigen Zeit hat die Eristik einen festen Platz in den unterschiedlichsten Bereichen der Gesellschaft gefunden. Politik, Wissenschaft, Religion, Justiz und Kunst – überall gibt es Raum für eristische Auseinandersetzungen. Die Frage nach der Wahrheit wird dabei oft von der Frage nach der Überzeugungskraft überlagert. Die Grenzen zwischen einer konstruktiven Debatte und eristischen Taktiken sind dabei oft fließend. Das mag ein Grund sein, warum gewisse Akteure z.B. in X-Spaces noch immer als akzeptabel und sachlich argumentierend angesehen werden, obwohl ihre Absichten bekannt und für mich selten im Sinne einer freien und demokratischen Diskussion oder zu verorten sind.

Vielmehr ist es das Anliegen, eben diese Gespräche zu übernehmen, zu stören oder letzten Endes zu zerstören. Dabei nutzen diese Akteure Mittel, die man der Eristik zuordnen kann. Dazu gehören das absichtliche „falsch verstehen“ von Redebeiträgen, um das Thema gegen die Person des Sprechers zu lenken, die Quelle für den Redebeitrag als unseriös und fraglich herab zu würdigen, oder als heftigstes Mittel, den Sprecher z.B. mit dem „Nazivergleich“ oder der „Ausschwitzlüge“ endgültig zum Schweigen zu bringen. (Alles das habe ich persönlich miterlebt.)

Es ist wichtig zu betonen, dass Eristik nicht zwangsläufig negativ konnotiert sein muss. In einer konstruktiven Form kann sie dazu dienen, unterschiedliche Perspektiven zu beleuchten und zu einer vertieften Verständigung beizutragen. Allerdings besteht auch die Gefahr, dass die eristische Kunst instrumentalisiert wird, um Menschen zu manipulieren, die Wahrheit zu verschleiern oder Debatten zu entarten.

Ursprung der Eristik

Der Begriff „Eristik“ ist abgeleitet vom griechischen Wort „eristikos“ (streitsüchtig) und bezieht sich auf die Kunst der geschickten Argumentation. Die Mittel der Eristik sind vielfältig und reichen von rhetorischen Finessen über scheinbare Logik bis hin zu strategisch platzierten Fallstricken.

Eristische Techniken finden sich in zahlreichen Anwendungen, sei es in politischen Debatten, in der Jurisprudenz oder einfach in Alltagsgesprächen, in denen Menschen versuchen, ihre Standpunkte durchzusetzen oder andere nicht nur zu überzeugen, sondern auch deren Überzeugungen scheinbar zu widerlegen.

Ein wesentliches Element der Eristik ist die Fähigkeit, scheinbar logische Argumente zu präsentieren, die bei genauerer Betrachtung jedoch fragwürdig sind. Dieser Ansatz beinhaltet oft die Verwendung von sogenannten Scheinbeweisen oder Scheinargumenten, die oberflächlich betrachtet überzeugend wirken, bei näherer Analyse jedoch Schwächen und falsche Behauptungen aufweisen. Der Einsatz von Eristik erfordert nicht nur ein tiefes Verständnis der Logik, sondern auch eine Versiertheit im Umgang mit psychologischen Mechanismen. Hier mag im Einzelfall bei den bekannten Akteuren bereits eine gewisse Veranlagung und ein Talent vorliegen, allerdings müssen diese Fähigkeiten auch trainiert und herausgebildet werden. Die Häufigkeit in der dieses Phänomen zu tage tritt, lässt mich an eine zufällige Ansammlung solcher Talente jedoch zweifeln.

Durch die Aneignung geschickter Formulierungen und Scheinargumentationen kann der Eristiker sein Gegenüber dazu bringen, ihn als gleich zu akzeptieren, was die Grundlage für die Konstruktion scheinbar stichhaltiger Argumente bildet. Dabei ist es wichtig, den Schein der Seriosität und Glaubwürdigkeit zu wahren. Was wiederum Gesprächspartner und Zuhörer dazu verleitet den Eristiker als akzeptabel anzunehmen, da sie dessen wirkliche Absichten nicht sofort erkennen.

Ein weiteres Instrument der Eristik ist das bereits oben angesprochene „Argumentum ad Hominem“ – die Kunst, nicht auf die Sachebene der Debatte einzugehen, sondern persönliche Angriffe oder Abwertungen gegenüber dem Gegner zu verwenden. Dieses Mittel kann dazu dienen, das Gegenüber aus der Fassung zu bringen, emotionale Reaktionen hervorzurufen und so die eigene Position zu stärken. Allerdings birgt diese Taktik auch das Risiko, die eigene Glaubwürdigkeit zu untergraben. Ist jedoch ein gezielt eingesetztes Mittel, die Diskussion in eine unsachliche Richtung zu lenken oder eben zu beenden. Damit wird letztendlich das eigene Ziel erreicht und die stattgefundene Diskussion zerstört. Sich selbst schützen diese Akteure oftmals mit einem Schild der Unangreifbarkeit, in dem sie ihre Person, mit echten oder erfundenen Prädikaten wie z.B. „Ausländer“, „Queer“ oder Ähnlichem versehen.

Die Kunst der Eristik erfordert also nicht nur rhetorische Fähigkeiten, sondern auch ein tiefes Verständnis für die Psychologie. Der Eristiker muss in der Lage sein, die Denkweise seines Gegners zu analysieren, dessen Schwächen zu erkennen und gezielt auf diese einzugehen. Dies erfordert nicht nur ein umfassendes Wissen über verschiedene Argumentationstechniken, sondern auch eine hohe Sensibilität für zwischenmenschliche Dynamiken. Auch hier gilt, was ich oben zur Logik sagte, es mag zweifelsohne diesbezüglich Talente geben, da sich diese Phänomene jedoch häufen, gehe ich eher von nicht autark antrainiertem Wissen und ausgebildeten Methodiken aus.

Ähnliche Fähigkeiten sind mir aus meiner Jugend in der DDR bekannt. Auch hier wurden in bestimmten Institutionen und Organisationen spezielle Kader auf diesen Gebieten geschult und gezielt ausgebildet. Auch deren Aufgabe war es, kritische und „destruktive“ Diskussionen im Keim zu ersticken und die teilnehmenden Probanden lächerlich zu machen bzw. mundtot.

Die Eristik ist eine komplexe Disziplin, die die Grenzen zwischen Logik, Psychologie und Kommunikation auslotet. Ihre Anwendung erfordert nicht nur technisches Geschick, sondern auch ein gewisses Training und systematische Herangehensweise um sie effektiv einzusetzen. So muss beispielsweise die angewandte Rhetorik und Überzeugungstechnik eines Sprechers auf seiner Glaubwürdigkeit und seinem Wesen beruhen. Ein Eristiker, der ausschließlich auf List und Tücke setzt, würde in diesem Sinne als unglaubwürdig betrachtet werden, würde er „plötzlich“ versuchen sachlich zu argumentieren. Das gleiche gilt im umgekehrten Fall. Dennoch kommt es vor, dass solche „Wandel“ von Zuhörern oder Gesprächspartnern als Läuterung und Besserung wahrgenommen werden. Hier mag der Wunsch der Läuterung als Vater des Gedankens herhalten.

Eristik & Soziale Medien

Ein besonderer Aspekt der Eristik, ist ihre Rolle in der heutigen digitalen Ära. Mit der Verbreitung von sozialen Medien und Online-Plattformen hat die Art und Weise, wie Menschen miteinander kommunizieren und debattieren, eine radikale Veränderung erfahren. Eristische Techniken können in diesem Kontext besonders subtil und wirksam eingesetzt werden. Im Internet, wo Diskussionen oft von Anonymität geprägt sind, kann die Eristik ihre Tücken entfalten. Die Distanz zwischen den Gesprächspartnern ermöglicht es, die feinen Nuancen der Kommunikation zu umgehen und gezielt auf emotionaler Ebene zu agieren. Dabei können über scheinbare Sympathie oder vorgebliche Kompetenz falsche Informationen gestreut werden, oder einzelne Personen, die in bestimmten Bereichen tatsächliche, aber unerwünschte, Kompetenz besitzen, von Debatten ausgeschlossen, oder in Abwesenheit diffamiert werden.

Es stellt sich die Frage, wie Menschen in einer Welt, in der Informationen schnell verbreitet und Meinungen im Überfluss vorhanden sind, ihre argumentative Integrität bewahren können. In diesem Kontext ist die Fähigkeit, eristische Techniken zu erkennen und ihnen zu begegnen, von entscheidender Bedeutung. Die Förderung von Medienkompetenz und kritischem Denken kann dazu beitragen, dass Menschen sich bewusst sind, wenn eristische Methoden in Diskussionen angewendet werden.

Eristik & Ethik – ein Widerspruch?

Ein bedeutender Aspekt der Eristik ist ihre Verbindung zur Ethik. Die Frage, ob es moralisch vertretbar ist, eristische Techniken einzusetzen, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Einige argumentieren, dass die Verwendung von Tricks in der Überzeugungsarbeit notwendig sein können, um gegenüber starken Gegenargumenten standzuhalten. Andere wiederum plädieren dafür, dass die Eristik im Kern unehrlich ist und somit ethisch bedenklich.

Ein Eristiker, der seine Fähigkeiten ethisch einsetzt, kann eine Diskussion bereichern und dazu beitragen, dass verschiedene Perspektiven besser verstanden werden. Allerdings gilt es zu bedenken, dass jede Seite eines Disputs Ethik und Moral für sich beanspruchen wird.

Die Grenze zwischen einer geschickten Argumentation und Manipulation ist oft sehr schmal. Die Ethik der Argumentation erfordert eine ständige Reflexion über die Konsequenzen der eigenen Wortwahl und Strategie. Zwischen Wissensvermittlung und Wissensvermeidung liegt ein argumentativer und ethischer Korridor.

Ein wichtiger Punkt in der Auseinandersetzung um die Eristik ist die Frage nach ihrer Rolle in der Bildung und Ausbildung. Sollten Menschen gezielt darauf vorbereitet werden, eristische Techniken anzuwenden und damit umzugehen? Unter Einhaltung eben genannter ethischer Maßgaben kann die Eristik dazu führen, dass Argumentationen hinterfragt werden können und sich somit eine Vertiefung im Verständnis zu Themen einstellt. Auf der anderen Seite besteht bei zweckgeführter Anwendung, wie in der Justiz, der Politik oder im zwischenmenschlichen Bereich immer die Gefahr der Unterdrückung von Meinungen, Personen oder Wahrheiten.

Es bleibt festzuhalten, dass diese Kunst mit Bedacht eingesetzt werden sollte, um eine ehrliche und fruchtbare Diskussion zu fördern. Die Praxis beweist nur all zu oft, dass die Anwendung überzeugender Scheinrhetorik und manipulativer Strategien, zunehmend an Bedeutung gewinnt – auch gegen demokratische Dispute und wissenschaftliche Tatsachen.

Schopenhauers Dialektik der Eristik – eine Anregung

Die Eristik, als Lehre von den Streitgesprächen, wird von Schopenhauer in seinem Werk „Die Kunst, Recht zu behalten“ ironisch behandelt. Hierbei geht es nicht um die Suche nach Wahrheit im Sinne einer konstruktiven Diskussion, sondern um die Kunst, in einer Debatte scheinbar überlegene Argumente zu präsentieren und den Gegner zu überlisten. Schopenhauers Betrachtungen zur Dialektik der Eristik sind tiefgründig, nuanciert und laden dazu ein, die Mechanismen verbaler Auseinandersetzungen in einem neuen Licht zu sehen.

Schopenhauer nutzt diesen Begriff, um eine Form der Dialektik zu beschreiben, die nicht darauf abzielt, durch Argumente die Wahrheit zu finden, sondern vielmehr darauf, in einem Disput als Sieger hervorzugehen.
Schopenhauers Dialektik der Eristik fußt auf der Annahme, dass in den meisten menschlichen Diskussionen der Sieg über den Gegner wichtiger ist als die Entdeckung der Wahrheit. Seine Betrachtungen sind dabei keineswegs als Handlungsanweisungen für ehrliche, konstruktive Debatten zu verstehen, sondern als Analyse und Technik, mit denen man scheinbar überzeugende Argumente vortäuschen kann, unabhängig von ihrer tatsächlichen Substanz.

Dabei legt Schopenhauers Dialektik der Eristik die Betonung auf die Psychologie des Streitens. Schopenhauer erkennt an, dass menschliche Diskussionen oft von Emotionen, Ego und dem Wunsch nach persönlichem Triumph geprägt sind. In diesem Kontext entwickelt er verschiedene Strategien, die darauf abzielen, den Gegner in eine Position zu drängen, in der er entweder selbst inkonsequent erscheint oder sich in einem Widerspruch verfängt. Dabei spielt die Fähigkeit, rhetorisch geschickt zu agieren und die Schwächen der Gegenseite gezielt zu nutzen, eine entscheidende Rolle.

Ein grundlegendes Prinzip in Schopenhauers Dialektik der Eristik ist die Kunst der Ablenkung. Der Eristiker soll in der Lage sein, vom eigentlichen Thema der Debatte abzulenken und den Gegner in unwichtige Details zu verwickeln. Dies dient dazu, den Fokus von den Schwächen der eigenen Argumentation abzulenken und den Gegner in eine Verteidigungsposition zu drängen. In dieser Hinsicht ähnelt Schopenhauers Ansatz dem, was heute als „Red Herring“ bekannt ist, eine Ablenkung oder ein Manöver, das dazu dient, die Aufmerksamkeit von einem relevanten Thema abzulenken.

Ein weiterer zentraler Aspekt von Schopenhauers Dialektik der Eristik ist die Bedeutung der Wortwahl und der Sprache. Demnach ist die Art und Weise, wie Argumente präsentiert werden, oft entscheidender ist als ihr tatsächlicher Inhalt. Durch geschickte Rhetorik und eine präzise Wahl von Worten kann der Eristiker eine scheinbar überzeugende Fassade aufbauen, selbst wenn die Argumente inhaltlich dünn sind. Schopenhauer betont die Bedeutung von Suggestivfragen, die darauf abzielen, den Gegner in die Defensive zu drängen, und von Scheinargumenten, die oberflächlich überzeugend erscheinen, aber bei genauerer Betrachtung hohl sind.

Ein weiterer Punkt in Schopenhauers Dialektik der Eristik ist die Unterscheidung zwischen logischen und eristischen Argumenten. Während logische Argumente darauf abzielen, die Wahrheit zu finden und eine kohärente, vernünftige Position zu vertreten, sind eristische Argumente rein auf den Sieg in der Debatte ausgerichtet. Dies führt dazu, dass er einerseits die Notwendigkeit logischen Denkens anerkennt, andererseits aber die eristische Dialektik als eine Form der Manipulation und Täuschung beschreibt.

Im heutigen Tempo, in der Informationen zirkulieren und Debatten oft von kurzen, prägnanten Botschaften geprägt sind, gewinnen eristische Techniken an Bedeutung. Die Fähigkeit, in 280 Zeichen zu überzeugen oder durch schickte Manipulation auf sozialen Plattformen eine Meinung zu formen, stellt eine moderne Ausprägung dieser Dialektik dar. Die Kunst der Vereinfachung und Emotionalisierung, um in kurzer Zeit eine breite Zustimmung zu erlangen, reflektiert die eristische Strategie, bei der die Wahrheit oft in den Hintergrund tritt.

In der Weiterentwicklung seiner Überlegungen zur Dialektik der Eristik thematisiert Schopenhauer auch die Bedeutung der Taktik des Ausweichens. Ein geschickter Eristiker soll in der Lage sein, unangenehmen Fragen zu entgehen oder geschickt auszuweichen. Dies dient nicht nur dazu, die eigene Position zu schützen, sondern auch, den Gegner in Verlegenheit zu bringen und als inkonsequent darzustellen. Das Ausweichen als strategisches Element in einer Debatte hat Parallelen zur modernen politischen Kommunikation, in der oft versucht wird, unangenehmen Fragen aus dem Weg zu gehen oder diese geschickt zu umgehen.

Ein weiterer Punkt ist die Betonung der Individualität. Schopenhauer erkennt an, dass nicht alle Menschen gleich sind und dass unterschiedliche eristische Techniken bei verschiedenen Persönlichkeiten unterschiedlich wirksam sind. Diese Anerkennung der Individualität wirft die Frage auf, ob es eine universelle Strategie der Überzeugung gibt oder ob die Kunst der Eristik stark von den individuellen Eigenschaften des Eristikers und seines Gegenübers abhängt. Eben diese Individualität machen sich auch politische Systeme zu nutze, um ihre Gegner auf verschiedene Weise anzugreifen. So erreicht man, dass die Zielgruppe auf verschiedene Ebenen von verschiedenen Charakteren angegriffen werden kann. Während bei den Einen emotionale Attacken greifen, sind andere Personen eher durch Scheinargumente oder vorgespielter Sympathie zu täuschen. Ziel ist es in jedem Fall, die anvisierten Personen aus dem politischen Disput herauszuholen oder zu entfernen, sei es durch Einschüchterung oder Aufweichung der vorgetragenen Position.

Indem Schopenhauer zeigt, wie leicht Argumente durch eristische Strategien entstellt werden können, wirft er einen Schatten des Zweifels über die Fähigkeit der menschlichen Vernunft, objektiv Wahrheiten zu erkennen. Diese skeptische Haltung gegenüber der Objektivität von Argumenten und Diskussionen bleibt auch in der heutigen Zeit relevant, in der die Frage nach der Wahrheit und der Manipulation von Informationen zentrale Themen sind.

Schopenhauer lädt dazu ein, die Natur von Streitgesprächen zu verstehen, ihre eristischen Elemente zu erkennen und kritisch über die Rolle von Vernunft, Emotion und Überredung nachzudenken. Diese Offenheit für Interpretation und Reflexion macht Schopenhauers Werk zu einem zeitlosen Beitrag zur Philosophie der Kommunikation und zur Natur menschlicher Interaktionen.

Mein Fazit:

Schopenhauers Dialektik der Eristik gründet auf der Erkenntnis, dass in vielen Debatten der Sieg oft wichtiger ist als die Wahrheit. Dies deckt sich weitgehend mit meinen eigenen Beobachtungen.
Die Bedeutung der Wortwahl und Sprache muss sorgfältige Beachtung finden, denn die Art und Weise, wie Argumente präsentiert werden, ist oft entscheidender als ihr Inhalt. Durch geschickte Rhetorik und die Auswahl von suggestiven Fragen kann der Eristiker eine vermeintlich überzeugende Fassade aufbauen, selbst wenn die Argumente inhaltlich dünn oder gar unwahr sind. Dieser Aspekt gewinnt in einer Ära, in der Kommunikation durch Medien geprägt ist, eine zusätzliche Dimension.

Die Fähigkeit, Emotionen zu manipulieren und eine emotionale Reaktion hervorzurufen, wird als wichtige eristische Technik immer wieder angewandt. Diese Erkenntnis stellt scheinbar die Wirksamkeit rationaler Argumente in Frage, wenn Emotionen die Oberhand gewinnen und somit die Sachebene eines Gespräches zerstören.

Die Taktik des Ausweichens, die Schopenhauer beschreibt, findet Parallelen in der modernen politischen Kommunikation, wo das geschickte Entgehen unangenehmer Fragen oft zur Strategie gehört. Das Ausweichen ermöglicht nicht nur den Schutz der eigenen Position, sondern auch das Drängen des Gegners in eine defensive Position.

Die Individualität als Faktor in der Eristik macht deutlich, dass nicht alle Menschen gleich auf eristische Techniken reagieren. Deshalb begegnen wir den verschiedensten Techniken der Manipulation auch in den sozialen Medien, die aber ein gemeinsames Ziel vereint: die Zerstörung eines nicht gewollten demokratischen Disputs.

Die Frage nach der Möglichkeit objektiver Wahrheit zeigt letztendlich, wie leicht Argumente durch eristische Strategien verzerrt werden können. Hier wirft Schopenhauer einen Schatten des Zweifels über die Fähigkeit der menschlichen Vernunft, objektive Wahrheit zu erkennen. Diese Skepsis bleibt relevant in einer Zeit, in der die Diskussion über Fake News und Manipulation von Informationen eine zentrale Rolle spielt.

Die Überlegungen Schopenhauers regen dazu an, kritisch über die Art von Diskussionen und Debatten nachzudenken, die wir mitunter führen, und die Methoden, die wir verwenden bzw. die gegen uns verwendet werden, um zu überzeugen oder zu manipulieren. Sie fordern uns auf, die dargebotenen Wahrheiten jederzeit zu überdenken und zu hinterfragen.

Wenn es uns gelingt, unseren eigenen Willen zu argumentieren, hinten anzustellen und statt dessen dem Gegenüber genauer zuhören, werden wir in den Zwischentönen und Zwischensätzen mehr Wahrheiten finden, als die gesamte Argumentation unseres Gegenübers mitunter tatsächlich hergibt. Das kann uns Manipulationen erkennen lassen und gibt uns die Möglichkeit, uns vor diesen Akteuren zu schützen.

Die Menschen glauben viel leichter eine Lüge, die sie schon hundertmal gehört haben, als eine Wahrheit, die ihnen völlig neu ist.

Alfred Polgar

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