Leerräume in Lehrräumen – oder was an Universitäten abgeht. Sie erinnern sich: Meine Tochter warf mir vor, dass ich nicht wüsste was an Uni`s so vor sich geht. Sie hat recht! Ich habe nie eine Universität von innen gesehen. Besser gesagt: Ich habe nie einen Hörsaal (Lehrraum) von innen gesehen.
Vor einigen Jahren wohnte ich in einem Hotel im Pariser Quartier Saint-Germain-des-Prés gegenüber der „Université Paris Descartes U.F.R. Mathématiques et Informatique“ – einer Fakultät der altehrwürdigen Pariser Sorbonne.
Allmorgendlich betraten unzählige junge Leute dieses für mich sakral anmutende Gebäude – mehrheitlich schweigend, wie einem geheimen Sog erlegen, einer magischen Beschwörung folgend.
Ich saß rauchend vor dem Hotel (meine Frau schläft im Urlaub gern länger) und beobachtete dieses Geschehen. Dieser Zug junger Menschen aus aller Herren Länder hatte beinahe etwas Geheimbündlerisches.
Die Vorstellung, dass diese jungen Menschen an diesem einen Ort so viel Wissen erlangen, um dann eines Tages in ihre Länder zurück zu kehren und dort als Mathematiker, Informatiker, Biomediziner, oder als Geistes-, und Sozialwissenschaftler zu arbeiten und zu forschen.
Und obwohl sie jeder ein großes Maß an Wissen mit sich nehmen würden, würde dieses Wissen an diesem Ort nicht weniger – im Gegenteil – durch Ihre Fragen, Denkanstöße und Diskussionen würde es sich weiter mehren und korrigieren.
Benannt wurde diese Fakultät nach Renè Descartes (Philosoph, Mathematiker, Naturwissenschaftler, Jurist – 1596-1650), dessen Ausspruch: „Cogito ergo sum“ (Ich denke, also bin ich!) ein geflügeltes Wort wurde und dessen Werk und Schaffen bis heute seine Wirkung hat.
Universitätskultur ist Debattenkultur
Politik, Philosophie, freies Denken und der offene Disput sind keine neue Erscheinung an Universitäten. Von den alten Griechen, dem Orient der vor-mohammedanischen Zeit, über die Reformationszeit Jan Hus – seinerzeit Dekan der Prager Karls Universität – oder Martin Luther & Erasmus von Rotterdam bis zur Neuzeit Humboldt, Kant, Hegel, Feuerbach und der Gegenwart bei Karl Popper – immer wurde philosophisch politisch gedacht, gelehrt und debattiert.
Insbesondere Erasmus von Rotterdam hat sich um den offenen Disput verdient gemacht. Sein Werk „Lob der Torheit“ ist für mich ein Büchlein wider die akademische Einfalt und Dummheit. Es war ein stetes Ringen um den Diskurs zwischen Meinungen. Universitätskultur ist Debattenkultur. Nur im Austausch zwischen Dozent und Student/in kann Wissen hinterfragt, ausgeweitet und immer wieder korrigiert werden. Die Koexistenz verschiedener Meinungen ist essenziell für jeglichen wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Fortschritt.
Das änderte sich 1934 in Deutschland abrupt! An deutschen Universitäten wurden jüdische Gelehrte, Forscher, Professoren von schreienden fanatischen Studenten aus den Universitäten verjagt. Nationalsozialisten vertrieben Wissenschaft, Forschung, Kunst und Kultur aus Deutschland und machten es zu geistigem Brachland.
Eine dieser jüdischen Professorinnen war Agathe Lasch. Posthum wurden Straßen, Plätze, Preise nach ihr benannt. Wiedergutmachung nach deutscher Art?
Geschichte wiederholt sich nicht?
Auch ein Hörsaal an der Universität Hamburg erhielt Ihren Namen. Die damaligen Vorgänge waren einmalig in Deutschland – bis vor Kurzem.
Im Jahr 2019 werden wieder Dozenten und Professoren von disput-unfähigen oder unwilligen Gesinnungs-Studenten vertrieben, an Ihren Vorlesungen gehindert, müssen von Sicherheitskräften/Polizei aus einer deutschen Universität eskortiert werden, um ihr Leben und ihre Gesundheit zu schützen.
Es mag einigen Leuten bei Herrn Lucke leicht fallen dem Boykott der Studenten beizupflichten. Schließlich hat er sich einer unbequemen Meinung und Parteizugehörigkeit „schuldig“ gemacht. Das seine Vertreibung in eben dem „“Agathe Lasch Hörsaal“ statt fand gibt dem Ganzen dann aber doch etwas „Anrüchiges“ und führt unweigerlich zu Assoziationen. Kein Disput war möglich, keine Diskussion wurde zugelassen – statt dessen kurzer Prozess, Hassparolen, körperliche Bedrohung und niederbrüllen eines Mannes, der auch Professor, der auch Wissenschaftler ist, durch eine außer Rand und Band geratene Meute von Gesprächsverweigerern, Bildungsverweigerern, jugendlichen Rechthabern, „Gutzusein-Gläubigen“.
Nur frage ich mich: Wieviel dieser Schuld tragen dann Thomas de Maizaire oder Christian Lindner in den Augen und Köpfen dieser fanatisierten Links-Studenten? Ersterer wurde von ihnen sehr rasch als „Nazi-Schw..n“ ausgemacht. Stimmen kann dies wohl kaum, denn bis dato wurden die CDU und die FDP noch nicht von der Linken dort verortet. Christian Lindner war ein häufig geladener und gern gesehener Gast an Universitäten. Ebenso Thomas de Maizaire (seines Zeichens Ex-Bundesinnenminister). Beide erlitten das gleiche Schicksal wie Bernd Lucke. Aber warum?
Waren an diesen Tagen zu viele Leerräume (zwischen den Ohren) in den Lehrräumen, oder steckt das vielbeschworene links-grüne „System“ dahinter? Im vorgegebenen Bewußtsein zu den „Guten“ zu gehören, darf man neuerdings jede Torheit begehen, ohne an die Folgen zu denken bzw. ohne Konsequenzen tragen zu müssen?
Die Staatsgewalt weicht vor der Gewalt der Straße zurück? Wieder einmal? Warum fürchten gerade die „Guten“ immer wieder das Gespräch? Fehlen Ihnen Argumente, Fakten, echte Gründe für ihr Handeln? Vielleicht kennen und fürchten sie den Zweck einer Diskussion nur zu genau.
Die Toleranz der Intoleranten
„Nicht Sieg sollte der Zweck der Diskussion sein, sondern Gewinn.“
Joseph Joubert
Nun, die Universität Hamburg gibt zu den Lucke-Boykotts folgende Stellungnahme ab:
Stellungnahme der Wissenschaftssenatorin und des Universitätspräsidenten zur Störung der Vorlesung „Makroökonomik II“
Vor diesem Hintergrund erklären Wissenschaftssenatorin Katharina Fegebank und Universitätspräsident Prof. Dr. Dr. h.c. Dieter Lenzen: „Die Durchführung freier wissenschaftlicher Lehre gehört zu den grundgesetzlich garantierten Pflichten und Rechten jedes Hochschullehrers und jeder Hochschullehrerin. Der Staat ist verpflichtet, die Durchsetzung dieser Rechte grundsätzlich zu gewährleisten. Unabhängig davon ist festzustellen, dass Universitäten als Orte der Wissenschaft die diskursive Auseinandersetzung auch über kontroverse gesellschaftliche Sachverhalte und Positionen führen und aushalten müssen – insbesondere vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte.
Übrigens wurde eine Veranstaltung mit Sahra Wagenknecht (Die Linke) von Studenten weder abgesagt, noch verhindert oder gar boykottiert. Ein Schelm der Böses dabei denkt.
„Aber wieso dürfen dann andere Politikerinnen und Politiker in der Universität sprechen? Eine angekündigte Veranstaltung mit Linke-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht verstößt laut Universität nicht gegen die Ausschlussbedingung. Sie sei als wissenschaftliche Veranstaltung mit dem Titel „Modern Money Theory in Ökonomie, Gesellschaft und Politik“ angekündigt und als „Diskussionsveranstaltung zwischen zwei wirtschaftswissenschaftlichen Positionen“ durch den studentischen Arbeitskreis Plurale Ökonomik Hamburg beantragt worden. „
Quelle: Welt am 23.10.2019 – siehe hier …
Quo vadis, discipulus?
„Es tut halt so sauwohl, keinen Verstand zu haben, dass die Sterblichen um Erlösung von allen möglichen Nöten lieber bitten, als um Befreiung von der Torheit.“
Quelle: Wikipedia – siehe hier …