Zum Inhalt springen

Buch: „Wokismus und Hypermoralität: Anmerkungen zur neuen Tugendwächterei“

Man sollte sich moralisch nichts darauf einbilden, wenn man beim Schreiben des Wortes „rassistisch“ ins Stocken kommt.

Gregor Brand (*1957)

Die wachsende Kluft zwischen den Befürwortern und Kritikern des Wokismus und der Hypermoralität spiegelt eine größere gesellschaftliche Debatte wider: Inwieweit sind moralische Standards zielführend, um Diskriminierung zu bekämpfen? Und wann kippt diese Moral in eine Form von Zensur und gar Totalitarismus? Diese Fragen prägen den gegenwärtigen Diskurs und haben Auswirkungen auf nahezu alle gesellschaftlichen Bereiche – von der Politik über die Kultur bis hin zu den Medien.

Es ist wichtig zu betonen, dass sowohl viele Anhänger des Wokismus in der Theorie positive Absichten verfolgen: Sie wollen auf Ungerechtigkeiten aufmerksam machen und dazu beitragen, eine gerechtere Gesellschaft zu schaffen. Doch die Gefahr besteht darin, dass diese moralischen Bestrebungen von Ideologen missbraucht und so überzogen und undifferenziert umgesetzt werden, was zu einem Verlust von Toleranz und Meinungsfreiheit führen kann.

Gerade in dieser Balance zwischen notwendigem moralischem Bewusstsein und der Gefahr einer moralischen Überhöhung liegt eine der zentralen Herausforderungen unserer Zeit. Dieses Buch bietet eine differenzierte Analyse dieses Spannungsfelds und lädt den Leser dazu ein, sich eine eigene Meinung zu bilden.

„Wokismus und Hypermoralität: Anmerkungen zur neuen Tugendwächterei“ ist ein Buch, das sich intensiv mit den gesellschaftlichen und moralischen Entwicklungen der Gegenwart auseinandersetzt und versucht, die Auswirkungen auf die Zukunft zu analysieren. Es beleuchtet kritisch die verschiedenen Facetten des Wokismus und der Hypermoralität und wirft Fragen auf, die den Leser zum Nachdenken anregen. Dabei wird deutlich, dass es keine einfachen Antworten gibt – vielmehr handelt es sich um ein komplexes Geflecht aus moralischen, gesellschaftlichen und politischen Fragen, die es zu diskutieren gilt.
Durch eine fundierte Auseinandersetzung mit dem Thema bietet das Buch eine wertvolle Grundlage für den gesellschaftlichen Dialog und leistet einen Beitrag zu einer ausgewogenen Debatte. Es bleibt spannend, wie sich dieser Diskurs in Zukunft weiterentwickeln wird – und wie wir als Gesellschaft mit den Herausforderungen von Wokismus und Hypermoralität umgehen werden.

Ein Auszug:

Die neue politische Korrektheit hat in den letzten Jahren zunehmend an Bedeutung gewonnen und prägt mittlerweile viele Bereiche unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens. Was ursprünglich als gut gemeinter Versuch begann, diskriminierende Sprache und Verhaltensweisen zu vermeiden, hat sich zu einem komplexen und oft absurd diskutierten Phänomen entwickelt. In diesem Kapitel werden wir uns eingehend mit den verschiedenen Aspekten der neuen politischen Korrektheit befassen, ihre Ursprünge beleuchten, aktuelle Entwicklungen analysieren und mögliche Folgen für unsere Gesellschaft erörtern.

Um die neue politische Korrektheit in ihrer Gesamtheit zu verstehen, müssen wir zunächst einen Blick auf ihre historischen Wurzeln werfen. Der Begriff „politisch korrekt“ tauchte erstmals in den 1930er Jahren in marxistischen Kreisen auf und bezeichnete damals die strikte Befolgung der Parteilinie. In den 1960er und 1970er Jahren erfuhr der Begriff dann im Zuge der Bürgerrechtsbewegung und des aufkommenden Feminismus eine Neuinterpretation. Er wurde nun vorwiegend von progressiven Gruppen verwendet, um auf diskriminierende Sprache und Verhaltensweisen aufmerksam zu machen und für einen respektvolleren Umgang miteinander zu werben.

In den 1990er Jahren erlebte die Debatte um politische Korrektheit einen ersten Höhepunkt, als an US-amerikanischen Universitäten zunehmend Diskussionen über Sprachregelungen und Verhaltenskodizes geführt wurden. Kritiker sahen darin bereits damals eine Bedrohung der Meinungsfreiheit und akademischen Freiheit. Befürworter argumentierten hingegen, dass es notwendig sei, marginalisierte Gruppen zu schützen und eine inklusivere Gesellschaft zu schaffen. Bei genauerer Betrachtung muss allerdings festgestellt werden, dass es sich, wie bereits in den Anfängen, um starr festgelegte Denk- und Sprachmuster handelt, die keinen Raum für Abweichungen oder individuelle Interpretation zulässt.

Seit Beginn des 21. Jahrhunderts hat sich die Debatte um politische Korrektheit weiter intensiviert und globalisiert. Durch die rasante Entwicklung der sozialen Medien und die zunehmende Vernetzung der Welt haben Diskussionen über angemessene Sprache und Verhaltensweisen eine nie dagewesene Reichweite erlangt. Gleichzeitig hat sich der Fokus der Debatte erweitert: Neben Fragen der Sprache geht es nun auch verstärkt um Repräsentation in Medien und Kultur, um die Aufarbeitung historischer Ungerechtigkeiten und um die Schaffung inklusiver Strukturen in allen Bereichen der Gesellschaft. Dabei wird nicht selten übersehen, dass es durchaus immer wieder zu deutschfeindlichen bzw. rassistischen Einlassungen gegen weiße Mitmenschen von ebendiesen Gruppierungen ausgeht. Da ist von „Errichtung eines Kalifats und Unterwerfung Europas“ die Rede oder von „einer eklig weißen Mehrheit“. Oder es wird den Deutschen „eine Kultur jenseits der Sprache“ abgesprochen.

Die neue politische Korrektheit zeichnet sich durch einige charakteristische Merkmale aus, die sie von früheren Formen unterscheiden, aber deren Wurzeln nicht leugnen kann. Zum einen ist sie deutlich umfassender und durchdringt nahezu alle Bereiche des öffentlichen und zunehmend auch des privaten Lebens. Von der Arbeitswelt über die Unterhaltungsindustrie bis hin zur Bildung und Politik – überall wird heute darüber diskutiert, welche Sprache, welche Darstellungen und welche Verhaltensweisen als angemessen gelten und welche es zu verbannen gilt.

Ein weiteres Merkmal der politischen Korrektheit ist ihre starke Fokussierung auf die Identitätspolitik. Dabei geht es dem Wokismus darum, jedermann zu zwingen, die Erfahrungen und Bedürfnisse verschiedener sozialer Gruppen und Individuen anzuerkennen und Rücksicht auf deren Befindlichkeiten zu nehmen. Dies hat zu einer verstärkten Hypersensibilisierung für alltägliche Themen geführt. Überall wittern diese neuen Tugendwächter mittlerweile Rassismus, Sexismus, Homophobie und Transphobie. Kritiker äußern zu Recht die Frage, wie weit diese Differenzierung gehen darf und ob sie möglicherweise zu neuen Formen gesellschaftlicher Paranoia und Inquisition führen kann.

Charakteristisch für die neue politische Korrektheit ist ihre enge Verbindung mit dem Konzept der „safe spaces“. Dabei handelt es sich um physische oder virtuelle Räume, in denen sich Angehörige marginalisierter Gruppen sicher und frei von Diskriminierung fühlen sollen. Während Befürworter argumentieren, dass solche Räume notwendig sind, um Traumata zu verarbeiten und sich frei auszutauschen, sehen Kritiker darin eine Form der Abschottung und Verweigerung des offenen Dialogs. Weiterhin ließe sich anmerken, dass die politische Korrektheit erst, durch ihre Aufmerksamkeitspolitik dafür gesorgt hat, dass bestimmte Gruppen diese „safe spaces“ benötigen.

Darüber hinaus prägt die neue politische Korrektheit die sogenannte „Cancel Culture“. Darunter versteht man den Versuch, Personen oder Institutionen, die als moralisch verwerflich wahrgenommen werden, aus dem öffentlichen Diskurs auszuschließen. Dies kann sich in Boykottaufrufen, dem Entzug von Plattformen oder dem Verlust von beruflichen Positionen äußern. Die Debatte um Cancel Culture ist besonders kontrovers, aber notwendig, da sie Fragen nach den Grenzen der Meinungsfreiheit und der demokratischen Verhältnismäßigkeit aufwirft.

Um die teilweise verheerenden Auswirkungen der neuen politischen Korrektheit besser zu verstehen, ist es sinnvoll, verschiedene gesellschaftliche Bereiche genauer zu betrachten. Beginnen wir mit der Sprache, die von jeher im Zentrum der Debatte um politische Korrektheit stand. In den letzten Jahren hat sich der Fokus hier deutlich erweitert. Ging es früher primär darum, offensichtlich diskriminierende Begriffe zu vermeiden, so wird heute viel differenzierter über die Macht der Sprache diskutiert.

Ein zentrales Thema ist dabei die gendergerechte Sprache. In vielen Ländern, darunter auch im deutschsprachigen Raum, wird intensiv darüber debattiert, wie Sprache gestaltet werden kann, um alle Geschlechter gleichberechtigt abzubilden. Vorschläge reichen von der Verwendung des generischen Maskulinums über Doppelnennungen (Studentinnen und Studenten) bis hin zu neuen Schreibweisen wie dem Gendersternchen (Student*innen) oder dem Doppelpunkt (Student:innen). Die Diskussion ist oft emotional aufgeladen, da Sprache eng mit Identität und kulturellen Traditionen verknüpft ist. Dabei darf nicht vergessen werden, dass Sprache immer einem gewissen Wandel unterliegt und sich stetig den gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Notwendigkeiten anpasst. Traditionell erfolgt dieser Wandel von unten nach oben. Ein Merkmal aller Diktaturen war es, dass es seinem Volk bestimmte Sprachvorschriften machte, in dem es Begriffe vorschrieb bzw. deren Gebrauch untersagte.

Auch im Bereich der ethnischen und kulturellen Zugehörigkeit hat sich der Sprachgebrauch in den letzten Jahren stark verändert. Begriffe, die früher als neutral galten, werden heute oft als problematisch dargestellt. So wird insbesondere der umgangssprachliche Begriff „Rasse“ im Deutschen zunehmend kritisiert und durch Formulierungen wie „ethnische Zugehörigkeit“ oder „Spezies“ ersetzt.

Ein weiterer Aspekt der sprachlichen, politischen Korrektheit betrifft den Umgang mit Behinderungen und psychischen Erkrankungen. Hier geht es darum, vermeintlich stigmatisierende Begriffe zu vermeiden und stattdessen eine Sprache zu verwenden, die die Würde und Selbstbestimmung der betroffenen Menschen in den Vordergrund stellt. So spricht man heute beispielsweise von „Menschen mit Behinderung“ statt von „Behinderten“, um zu erklären, dass die Behinderung nur ein Aspekt der Person sei und nicht ihre gesamte Identität ausmacht.

Die Debatte um politisch korrekte Sprache hat auch Auswirkungen auf den Bereich der Literatur und des kreativen Schreibens. Viele Autoren sehen sich zunehmend mit der Frage konfrontiert, wie sie Figuren aus anderen Kulturen überhaupt noch authentisch und respektvoll darstellen können, ohne in vorgeblich stereotype Darstellungen zu verfallen. Dies hat zu intensiven Diskussionen über kulturelle Aneignung und die Grenzen der künstlerischen Freiheit geführt. Die Folge ist die Wahrnehmung, dass man Angehörige dunkelhäutiger Ethnien quasi nicht mehr mit negativen Eigenschaften versehen kann, ohne in den Verdacht des Rassismus zu fallen. Andererseits scheint es als völlig politisch korrekt zu gelten, in Netflix-Serien, den halben königlichen Hofstaat Elisabeth der I. von afroamerikanischen Schauspielern spielen zu lassen. Wie kann eine Umkehrung von Rassismus oder Geschichtsverfälschung zu einer korrekten Politik führen, wenn selbst positive Aussagen zu bestimmten ethnischen Gruppierungen als sogenannter „positiver Rassismus“ gebrandmarkt werden?

Das Thema „Rassismus“ wird in unserer heutigen Gesellschaft allgegenwärtig thematisiert und aus vielen Perspektiven betrachtet und diskutiert. Während der Begriff des Rassismus ursprünglich korrekterweise mit negativen Konnotationen in Verbindung gebracht wird, übernimmt der Wokismus eine zunehmende Deutungshoheit über einen neuen Aspekt: den sogenannten „positiven Rassismus“. Dieser Begriff wirft neue Fragen auf, insbesondere in einem Kontext, der stark von der sogenannten politischen Korrektheit geprägt ist. Politische Korrektheit hat in den letzten Jahren an Macht gewonnen und zielt darauf ab, empfundene diskriminierende sowie reale und vorgebliche verletzende Äußerungen zu unterbinden, indem die Sprache und das Verhalten derart diktiert werden, dass sie sensibel gegenüber allen gesellschaftlichen Minderheiten zu sein hat…