„Wer treten wollte, musste sich treten lassen, das war das eherne Gesetz der Macht.“
Zitat: „Der Untertan“, Heinrich Mann
Im Verlauf unserer Geschichte haben sich verschiedene Gesellschaftssysteme und Regierungsformen entwickelt, die das Verhältnis zwischen Individuum und Staat auf unterschiedliche Weise geformt haben. Von der Antike bis in die Gegenwart waren und sind viele Menschen Untertanen, gebunden an das Wort und die Gesetze des Herrschers. Diese Machtstruktur basierte auf Hierarchien, in denen individuelle Rechte kaum eine Rolle spielten. Mit dem Aufkommen der Aufklärung im 17. und 18. Jahrhundert veränderte sich jedoch die Perspektive. Der Gedanke, dass jeder Mensch von Geburt an grundlegende Rechte besitzt und als mündiger Bürger anzusehen ist, wurde immer stärker. Dies führte zu demokratischen Bewegungen und zur Bildung moderner Verfassungsstaaten, in denen Bürgerrechte zentral verankert wurden.
Ein Bürger unterscheidet sich von einem Untertan durch seine aktive Rolle im politischen und gesellschaftlichen Leben. Durch Wahlbeteiligung, Engagement in Vereinen oder Organisationen und die Einflussnahme auf politische Entscheidungen kann der Bürger seine Stimme und Meinung aktiv in die Gesellschaft einbringen. Demnach ist das Bürgersein nicht nur eine passive Existenz, sondern eine, die von Partizipation und Verantwortungsbewusstsein geprägt ist.
In Demokratien genießen Bürger vielfältige Rechte, die ihnen durch die Verfassung oder das Grundgesetz garantiert werden. Diese Rechte sind das Fundament für ein selbstbestimmtes Leben, ein unveräußerliches Recht von dem jeder Bürger nach eigener Entscheidung Gebrauch machen kann. Weder kann ihm dieses Recht zugesprochen, noch kann es ihm abgesprochen werden. Die Nutzung seiner Bürgerrechte ist ausschließlich seine persönliche Entscheidung.
Jeder Bürger hat das Recht, seine Meinung frei zu äußern und sich an Diskussionen zu beteiligen.
Der Begriff „Untertan“ hingegen beschreibt historisch gesehen eine Person, die einer Autorität oder einer Regierung unterstellt ist oder sich dieser unterstellt hat, ohne die Möglichkeit, eigene Rechte geltend zu machen oder selbstbestimmt zu handeln.
Mit dem Aufkommen demokratischer Strukturen hat sich diese Definition verändert. Heute steht der Begriff „Untertan“ oft für eine Haltung oder ein System, in dem die Selbstbestimmung des Einzelnen eingeschränkt ist, sei es durch politische, ideologische Faktoren, oder eben eigene Entscheidung. In demokratischen Gesellschaften kann ein Bürger jedoch die Rolle eines Untertanen einnehmen, wenn er sich zurückzieht und keine Verantwortung für die Gesellschaft übernehmen möchte. Sätze wie „Da kann man nichts machen.“ oder „Die machen doch, was sie wollen.“ sind Ausdruck einer eigenen Entscheidung und der Resignation gegenüber einem vorgeblich übermächtigen Gebilde.
Die Frage, ob jemand als Bürger oder Untertan handelt, hängt stark von der persönlichen Entscheidungsfreiheit und dem individuellen Verantwortungsbewusstsein ab. In demokratischen Gesellschaften ist es in der Regel jedem Einzelnen möglich, sich aktiv zu beteiligen und Verantwortung zu übernehmen. Diese Entscheidung steht jedoch immer im Spannungsfeld mit der persönlichen Verfasstheit, seinen Verpflichtungen und Erwartungen, welche die Gesellschaft an das Individuum stellt, nachzukommen.
Ein Mensch, der seine Freiheit und Rechte wahrnimmt und dabei die Verantwortung für die Gemeinschaft nicht außer Acht lässt, agiert als mündiger und aufrechter Bürger. Ein anderer, der sich ausschließlich auf Anweisungen verlässt und keinen Beitrag zur Gesellschaft leisten möchte, verhält sich eher wie ein Untertan. Dabei sind beide Wege, Bürger oder Untertan zu sein, eine persönliche Entscheidung, die durch die eigenen Werte und inneren Haltungen bestimmt wird.
In der Praxis bewegt sich jede Gesellschaft zwischen individueller Freiheit und staatlichen Regulierungen. Während einige Maßnahmen zum Schutz der Allgemeinheit unumgänglich sind, wie etwa das Rechtssystem oder Gesundheitsvorschriften, stellt sich stets die Frage, wie weit der Staat in das Leben und den Entscheidungen seiner Bürger eingreifen darf. Die richtige Balance zwischen persönlicher Freiheit und der Rolle des Staates ist ein wesentlicher Faktor, der bestimmt, ob sich Menschen eher als Bürger oder Untertanen fühlen.
Ein Bürger hat in einer Demokratie nicht nur Rechte, sondern auch vielfältige Aufgaben und Pflichten, die für das Funktionieren der Gesellschaft und den Schutz der demokratischen Ordnung entscheidend sind. Diese Pflichten beziehen sich sowohl auf die aktive Teilnahme am politischen Leben als auch auf das gesellschaftliche Engagement und die Wahrung gemeinsamer Werte.
In einer Demokratie ist es wesentlich, dass Bürger die geltenden demokratischen Prinzipien wie Meinungsfreiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit achten. Gleiches gilt im umgekehrten Fall auch für die gewählten Vertreter der verschiedenen Gremien. Auch sie haben die rechtlichen und persönlichen Freiheiten der Bürger zu achten und zu respektieren. Die Akzeptanz und Einhaltung dieser Regelungen schützen den Bürger vor Missbrauch und Willkür. Ein Bürger trägt hier die Verantwortung, sich für demokratische Werte einzusetzen.
Ein wichtiges Element dabei ist die Zivilcourage: Das mutige Eingreifen, wenn Unrecht oder Diskriminierung im öffentlichen Raum stattfinden, ist ein wertvoller Beitrag, um eine respektvolle und gerechte Gesellschaft zu fördern.
Der Bürger hat eine Schutzpflicht, die sich sowohl auf den Staat als auch auf die Gesellschaft erstreckt. Diese Schutzpflicht bedeutet, dass jeder Einzelne dazu beitragen soll, die Sicherheit, Stabilität und Werte der Gesellschaft zu schützen.
Diese Verantwortung zeigt sich in verschiedenen Bereichen:
Die Verteidigung demokratischer Werte ergibt sich aus der Verantwortung, die demokratischen Grundrechte und die Freiheit der Gesellschaft vor Bedrohungen zu verteidigen. Dies umfasst, sich aktiv gegen Extremismus, Hass und Gewalt zu positionieren und andere aufzuklären.
Die Schutzpflichten eines mündigen Bürgers gegenüber einer aufkommenden Diktatur oder Autokratie sind von großer Bedeutung, um die demokratische Ordnung, Grundrechte und die persönliche Freiheit zu bewahren. In solchen Situationen muss der Bürger wachsam und aktiv handeln, um autoritären Tendenzen entgegenzuwirken und demokratische Werte zu schützen.
Ein wichtiger erster Schritt ist die Sensibilität für Anzeichen autoritärer Tendenzen. Dazu gehört das Erkennen von Einschränkungen der Pressefreiheit, Überwachung und Zensur, der Aushöhlung rechtsstaatlicher Prinzipien, politischer Einschüchterung oder der Schwächung demokratischer Institutionen wie Parlamente oder Gerichte. Ein mündiger Bürger sollte diese Zeichen nicht nur erkennen, sondern auch offen benennen und ein Bewusstsein dafür schaffen. Das Teilen dieser Informationen im sozialen Umfeld oder auf öffentlichen Plattformen fördert das Bewusstsein und bestärkt andere Bürger darin, aufmerksam zu bleiben.
In Zeiten zunehmender autoritärer Bestrebungen ist es besonders wichtig, sich politisch zu beteiligen und demokratisch gesinnte Repräsentanten zu unterstützen. Eine lebendige Demokratie ist auf eine freie Presse und offene Diskussion angewiesen. Ein mündiger Bürger kann diese Freiheit durch Unterstützung unabhängiger Medien und den Konsum verlässlicher Informationsquellen stärken. Auch das Eintreten für die Meinungsfreiheit und das Aufzeigen von Missständen gehört dazu. Pressefreiheit und Zugang zu objektiven Informationen verhindern, dass sich eine Diktatur oder Autokratie durch Fehlinformationen und Propaganda etablieren.
Diktatorische Regime neigen dazu, Bevölkerungsgruppen zu stigmatisieren und die Gesellschaft zu spalten. Ein mündiger Bürger sollte Diskriminierung, Hass und Gewalt entschieden entgegentreten und sich solidarisch mit Betroffenen zeigen. Durch Zivilcourage im Alltag und das Engagement gegen Ungerechtigkeiten kann der Einzelne seinen persönlichen Beitrag leisten.
Wo immer möglich, sollte der Bürger in einem demokratischen Rechtsstaat juristische Wege ausschöpfen, um sich gegen autoritäre Maßnahmen zu wehren. Klagen gegen verfassungswidrige Gesetze oder das Einreichen von Petitionen können dazu beitragen, den demokratischen Rechtsstaat zu stärken. Ein mündiger Bürger kennt seine Rechte und macht von rechtlichen Möglichkeiten Gebrauch, um den Einfluss einer potenziell diktatorischen Macht zu begrenzen.
Eine aufgeklärte und informierte Gesellschaft ist widerstandsfähiger gegen Diktaturen. Mündige Bürger können durch Bildung und Aufklärung dazu beitragen, demokratische Werte und kritisches Denken zu fördern. Ob im Freundes- und Familienkreis, durch Bildungsangebote oder auf öffentlichen Plattformen – jeder Beitrag zur demokratischen Bildung stärkt die Gesellschaft und hilft, zukünftigen Generationen die Bedeutung von Freiheit und Demokratie zu vermitteln.
Die Schutzpflichten eines mündigen Bürgers gegenüber aufkommenden diktatorischen oder autokratischen Tendenzen sind umfassend und erfordern Mut, Wachsamkeit und Engagement. Durch politisches und gesellschaftliches Engagement, den Schutz der Meinungsfreiheit, zivilen Widerstand und die Förderung demokratischer Werte kann jeder Bürger zur Erhaltung der Demokratie beitragen und autoritären Strömungen entgegenwirken. Diese Schutzpflichten sind nicht nur ein persönliches Engagement, sondern ein unerlässlicher Beitrag zur Bewahrung des Gemeinwohls und zur Sicherung eines freien und gerechten Staatswesens.
Ein Untertan und ein mündiger Bürger unterscheiden sich grundsätzlich in ihrem Verhältnis zur Autorität und in der Art und Weise, wie und ob sie eigene Entscheidungen treffen und bereit sind, Verantwortung für ihr Handeln zu übernehmen.
Ein Untertan verhält sich in der Regel passiv, fremdbestimmt und gehorcht den Vorgaben einer Autorität, ohne diese zu hinterfragen. Oft steht dabei die tatsächliche oder vorgebliche Abhängigkeit von äußeren Anordnungen oder Vorschriften im Vordergrund der Argumentation. Der Untertan gibt jede Verantwortung für sein Schicksal ab und lässt sich von fremden Entscheidungen leiten, ohne seine eigene Position oder seine eigenen Interessen umfassend zu reflektieren oder zu vertreten. Diese Haltung basiert meist auf einem Mangel an Selbstständigkeit und einer gewissen Resignation gegenüber der Autorität. Er fühlt sich als Teil eines vorgegebenen Systems, das er nicht ändern kann oder will, und übernimmt daher selten persönliche Verantwortung für die Folgen seines Handelns.
Ein mündiger Bürger ist weniger von fremden Entscheidungen abhängig, weil er sich selbstbestimmt einbringen und Veränderungen bewirken kann. Dennoch ist er in gewissem Maße von den Entscheidungen der Gesellschaft und deren Strukturen beeinflusst, da er in einem sozialen System lebt und im Rahmen rechtlicher Regeln handelt. Im Gegensatz zum Untertanen übernimmt er jedoch die Verantwortung, diese Strukturen aktiv mitzugestalten und sich für seine eigenen Überzeugungen einzusetzen.
Während der Untertan primär durch fremde Entscheidungen geleitet wird und kaum Verantwortung für sich selbst oder die Gesellschaft übernimmt, steht der mündige Bürger für Eigenverantwortung und die Fähigkeit, eigene und fremde Entscheidungen kritisch zu reflektieren und zu beeinflussen. In beiden Fällen aber, handelt es sich um persönlich getroffene Entscheidungen, die jeder für sich selbst trifft und die nicht von außen für ihn getroffen werden können.
Abschließend lässt sich sagen, dass die Entscheidung, Bürger oder Untertan zu sein, aus der persönlichen Erfahrung und dem eigenen Charakter heraus getroffen wird, aber auch abhängig von persönlicher innerer Freiheit, eigenem Verantwortungsbewusstsein und jeweils geltenden gesellschaftlichen Strukturen sind.
Geh, gehorche meinen Winken,
Nutze deine jungen Tage,
Lerne zeitig klüger sein:
Auf des Glückes großer Waage
Steht die Zunge selten ein;
Du mußt steigen oder sinken,
Du mußt herrschen und gewinnen,
Oder dienen und verlieren,
Leiden oder triumphieren,
Amboß oder Hammer sein.Johann Wolfgang von Goethe