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Der Heldenbegriff im Wandel der Zeit – Warum uns der „Held“ genommen wurde

Der Heldenbegriff im Wandel der Zeit - Warum uns der "Held" genommen wurde

Während der Diskussion im Abschluss an meine Lesung zum Buch „Die Erben der Legenden“ musste ich feststellen, dass der Begriff des „Helden“ überwiegend negativ bewertet wurde. Während auf der einen Seite die Trägheit der Masse bedauert wurde, fehlte anscheinend der Glaube an eine neue Leitfigur, die als Instanz moralischer, politischer oder gesellschaftlicher Veränderung eben diese „träge Masse“ mobilisieren und/oder gar anführen könnte. Meine Frage lautete deshalb „Warum?“ Wie ist es gelungen den Heldenbegriff derart als naiv oder gar obsolet darzustellen. Hier mein Versuch der Klärung:

Die Gestalt des Helden – einst Leitfigur ganzer Epochen, Verkörperung gesellschaftlicher Ideale und moralischer Orientierungspunkt – scheint in unserer Gegenwart fundamental in Frage gestellt. Wo frühere Generationen noch klare Vorstellungen von Heldentum teilten, beobachten wir heute eine tiefgreifende Ambivalenz. Der klassische Held ist weitgehend verschwunden; an seine Stelle traten differenzierte, oft widersprüchliche Konzepte, die das Heroische entweder dekonstruieren oder völlig neu definieren. Diese Entwicklung ist weder zufällig noch isoliert zu betrachten – sie spiegelt fundamentale gesellschaftliche Transformationsprozesse wider, die das kollektive Verständnis von Tugend, Moral und Vorbildfunktion nachhaltig verändert haben.

Die gezielte Demontage potentieller Leitfiguren: Fallbeispiele und Mechanismen

Muster der Heroisierung und Deheroisierung in der Gegenwart

Die Frage, warum uns der „Held“ als Leitfigur genommen wurde, lässt sich nicht vollständig beantworten, ohne konkrete Mechanismen der Demontage potentieller Leitfiguren zu analysieren. Ein genauer Blick auf zeitgenössische Prozesse öffentlicher Meinungsbildung offenbart systematische Muster der Deheroisierung, die sich an zahlreichen Fallbeispielen beobachten lassen.
Der Kommunikationswissenschaftler Hans Mathias Kepplinger beschreibt in seiner „Theorie der Skandalisierung“, wie mediale Berichterstattung selektiv bestimmte normative Verletzungen fokussiert und damit öffentliche Figuren delegitimiert. Dieser Mechanismus trifft potentielle Leitfiguren besonders hart, da sie an höheren moralischen Standards gemessen werden und gleichzeitig unter intensiverer öffentlicher Beobachtung stehen.

Die Skandalisierung folgt dabei typischen Phasen: Nach einer initialen Heroisierung, die hohe Erwartungen weckt, folgt die Entdeckung von „Makeln“ – seien es moralische Verfehlungen, inkonsistente Aussagen oder problematische Verbindungen. Diese werden durch mediale Verstärkungseffekte amplifiziert und führen schließlich zur moralischen Disqualifikation der betreffenden Person. Dieser „Helden-Zyklus“ hat sich durch die digitalen Medien dramatisch beschleunigt und intensiviert.

Besonders deutlich wird dieses Muster bei politischen Figuren, die heroische Attribute verkörpern oder transformative Visionen artikulieren. Charismatische Führungspersönlichkeiten werden zunächst medial aufgebaut, dann intensiv auf Inkonsistenzen und Verfehlungen überprüft und schließlich durch gezielte Skandalisierung demontiert. Dieser Prozess untergräbt systematisch das Vertrauen in politische Führung und fördert eine zynische Grundhaltung gegenüber jeder Form heroischer Selbstinszenierung.

Die selektive Dekonstruktion: Ideologische Asymmetrien der Heldendemontage

Bei genauerer Betrachtung zeigt sich eine auffällige Asymmetrie in der Intensität und Persistenz kritischer Dekonstruktion. Die Demontage heroischer Leitfiguren erfolgt nicht gleichmäßig über das politische Spektrum hinweg, sondern folgt erkennbaren ideologischen Mustern. Traditionelle Heldenbilder, die konservative oder nationale Werte verkörpern, werden systematisch intensiver kritisiert als solche, die progressiven Narrativen entsprechen.

Der Medienanalyst Tim Groseclose hat in empirischen Studien nachgewiesen, dass die selektive Aufmerksamkeit für Skandale in vielen westlichen Mediensystemen eine deutliche ideologische Verzerrung aufweist. Figuren, die traditionelle Werte verkörpern – sei es in Bezug auf Familie, Nation, Religion oder konventionelle Geschlechterrollen – erfahren eine intensivere kritische Prüfung als jene, die progressive Positionen vertreten.

Diese selektive Skandalisierung manifestiert sich in asymmetrischen Berichterstattungsmustern, unterschiedlichen sprachlichen Rahmungen und differenzierten Kausaldeutungen. Wo bei traditionellen Leitfiguren individuelle moralische Mängel betont werden, dominieren bei progressiven Figuren strukturelle Erklärungen oder kontextuelle Relativierungen. Diese asymmetrische Heroisierung und Deheroisierung führt zu einer systematischen Verschiebung des öffentlichen Diskurses und zur graduellen Delegitimierung traditioneller Werte und Rollenmodelle.
Konkrete Fallbeispiele verdeutlichen dieses Muster. Militärische Führungspersönlichkeiten werden heute primär kritisch als potentielle Kriegsverbrecher oder privilegierte Profiteure eines militärisch-industriellen Komplexes dargestellt. Unternehmerische Erfolgsgeschichten werden nicht mehr als Inspirationsquelle, sondern als Ausdruck struktureller Ungleichheit oder ökologischer Verantwortungslosigkeit gerahmt. Religiöse Führungsfiguren erscheinen weniger als moralische Vorbilder denn als Repräsentanten überkommener Dogmen oder institutioneller Machtstrukturen.

Digitale Beschleunigung der Heldendemontage: Die Rolle sozialer Medien

Die digitale Transformation hat die Mechanismen der Heldendemontage fundamental verändert und beschleunigt. Soziale Medien fungieren als Katalysatoren für öffentliche Empörung und ermöglichen die rasche Mobilisierung gegen reale oder vermeintliche Normverletzungen öffentlicher Figuren. Das Phänomen der „Cancel Culture“ illustriert, wie digitale Dynamiken zur beschleunigten Delegitimierung potentieller Leitfiguren beitragen können.

Der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen beschreibt die gegenwärtige Situation als „große Gereiztheit“ – einen Zustand permanenter kommunikativer Erregung, in dem moralische Empörung zum dominanten Kommunikationsmodus wird. Die algorithmische Verstärkung emotionaler Inhalte führt dazu, dass kritische und skandalisierende Beiträge systematisch größere Reichweite erzielen als differenzierte oder affirmative Auseinandersetzungen.

Die permanente digitale Dokumentation aller Äußerungen und Handlungen öffentlicher Personen schafft zudem ein „ewiges Gedächtnis“, das keine Entwicklung und keinen moralischen Lernprozess zulässt. Vergangene Aussagen oder Handlungen können jederzeit rekontextualisiert und nach aktuellen normativen Standards bewertet werden. Diese „retrospektive Inquisition“ erschwert die Etablierung langfristig stabiler Leitfiguren, da praktisch jede Person an irgendeinem Punkt ihres Lebens angreifbare Positionen vertreten hat.

Die digitale Medialisierung führt zudem zur „Intimisierung des Öffentlichen“ – private Details potentieller Leitfiguren werden öffentlich verhandelt und zur Grundlage moralischer Urteile gemacht. Diese permanente Vermischung öffentlicher und privater Sphären erschwert die Aufrechterhaltung heroischer Projektionsflächen, da die unvermeidliche menschliche Unvollkommenheit ständig sichtbar wird. Wo früher bewusste Distanz und selektive Darstellung heroische Narrative ermöglichten, dominiert heute eine schonungslose Transparenz, die wenig Raum für idealisierende Projektion lässt.

Institutionelle Mechanismen der Leitbilddemontage

Neben medialen und digitalen Dynamiken tragen auch institutionelle Faktoren zur systematischen Dekonstruktion heroischer Leitbilder bei. Bildungsinstitutionen haben in den vergangenen Jahrzehnten einen paradigmatischen Wandel vollzogen, der traditionelle Formen der Heldenverehrung durch kritische Dekonstruktion ersetzt hat.
Der amerikanische Literaturwissenschaftler John Guillory beschreibt in „Cultural Capital“, wie der literarische Kanon in Bildungsinstitutionen sukzessive dekonstruiert und durch identitätspolitische Perspektiven ergänzt oder ersetzt wurde. Die traditionelle Vermittlung exemplarischer Biographien und heroischer Narrative wurde zugunsten struktureller Analysen und kritischer Kontextualisierungen zurückgedrängt. Dieser institutionelle Wandel prägt die Sozialisation ganzer Generationen und transformiert langfristig kulturelle Selbstverständnisse.
Auch im Bereich der musealen Repräsentation lässt sich dieser Wandel beobachten. Traditionelle historische Museen, die nationale Erfolgsgeschichten und heroische Figuren zelebrierten, wurden zunehmend durch kritische Institutionen ersetzt, die Ambivalenzen betonen und marginalisierte Perspektiven einbeziehen. Gedenkstätten fokussieren heute primär auf Opfernarrative statt auf heroischen Widerstand; koloniale Museen problematisieren imperialistische Expansion statt Entdeckergeist zu zelebrieren.

Der Kulturwissenschaftler Aleida Assmann beschreibt diesen Prozess als Übergang vom „triumphalistischen“ zum „selbstkritischen“ Gedächtnis. Diese Transformation kultureller Erinnerung hat tiefgreifende Auswirkungen auf kollektive Identitätsbildung und gesellschaftliche Selbstverständnisse. Wo frühere Generationen in heroischen Narrativen Orientierung und Inspiration fanden, dominieren heute kritische Dekonstruktion und moralische Ambivalenz.

Warum man uns den „Helden“ genommen hat: Intentionen und Interessen

Die strategische Dimension der Heldendekonstruktion

Die Frage, warum man uns den „Helden“ als kulturelle Leitfigur genommen hat, impliziert eine gewisse Intentionalität dieses Prozesses. Tatsächlich lässt sich argumentieren, dass die systematische Dekonstruktion heroischer Narrative nicht ausschließlich kulturevolutionär zu erklären ist, sondern auch strategische Dimensionen aufweist.
Der italienische Marxist Antonio Gramsci entwickelte das Konzept der „kulturellen Hegemonie“, um zu erklären, wie herrschende Klassen ihre Macht nicht primär durch Zwang, sondern durch kulturelle Führung stabilisieren. Umgekehrt bedeutet dies, dass gesellschaftlicher Wandel die Dekonstruktion etablierter kultureller Deutungsmuster erfordert. Die systematische Demontage traditioneller Heldenbilder kann aus dieser Perspektive als Teil eines kulturellen Kampfes um die Deutungshoheit interpretiert werden.
Heroische Narrative vermitteln implizit oder explizit normative Orientierungen und Wertsysteme. Ihre Dekonstruktion schafft Raum für alternative Wertsetzungen und transformierte gesellschaftliche Verhältnisse. Der amerikanische Politikwissenschaftler James Davison Hunter beschreibt in „Culture Wars“, wie kulturelle Eliten durch die Kontrolle über Bildungsinstitutionen, Medien und kulturelle Produktionen langfristig gesellschaftliche Werte transformieren können – auch gegen mehrheitliche Präferenzen in der Bevölkerung.
Die gezielte Demontage bestimmter Leitbilder – etwa des soldatischen Helden, des patriarchalen Familienoberhaupts oder des visionären Unternehmers – ermöglicht die Delegitimierung entsprechender sozialer Institutionen und gesellschaftlicher Ordnungsvorstellungen. Die „Entzauberung“ des Heroischen ist aus dieser Perspektive kein kultureller Unfall, sondern Teil einer „langen Reise durch die Institutionen“, wie sie Herbert Marcuse bereits in den 1960er Jahren forderte.

Die postmoderne Kapitalismuskritik und die Demontage des Helden

Eine tiefere Ebene der Analyse führt zur Frage, inwiefern die Demontage heroischer Leitbilder mit den strukturellen Anforderungen des Spätkapitalismus korrespondiert. Der Kulturtheoretiker Fredric Jameson beschreibt die Postmoderne als „kulturelle Logik des Spätkapitalismus“ – als kulturelle Formation, die den Anforderungen einer globalisierten, flexibilisierten Ökonomie entspricht.

Traditionelle heroische Narrative betonen Tugenden wie Loyalität, Beständigkeit, Opferbereitschaft und langfristige Bindung – Werte, die mit den Flexibilisierungsanforderungen des postfordistischen Kapitalismus in Konflikt geraten können. Der flexible Mensch der Spätmoderne soll mobil, anpassungsfähig und offen für ständigen Wandel sein – Eigenschaften, die mit traditionellen heroischen Idealen schwer vereinbar sind.

Der Soziologe Richard Sennett beschreibt in „Der flexible Mensch“, wie die neuen ökonomischen Anforderungen langfristige Charakterbildung und stabile Identität unterminieren. Die Demontage traditioneller Leitbilder könnte aus dieser Perspektive als kulturelle Anpassung an ökonomische Imperative interpretiert werden – als Versuch, Menschen für eine flexibilisierte Arbeitswelt zu konditionieren, in der beständige Selbsttransformation statt Charakterfestigkeit gefordert wird.

Paradoxerweise profitiert das kapitalistische System auch von der Fragmentierung kollektiver Identitäten und der Atomisierung des Sozialen, die mit der Dekonstruktion gemeinsamer heroischer Bezugspunkte einhergeht. Der französische Philosoph Gilles Lipovetsky beschreibt in „Das Zeitalter der Leere“, wie der postmoderne Individualismus und die Auflösung verbindlicher Wertesysteme neue Konsummöglichkeiten eröffnen und zur „Hyperkonsumgesellschaft“ führen.

Die Angst vor charismatischer Führung und die Leerstelle des Politischen

Ein weiterer Faktor für die systematische Demontage heroischer Leitfiguren liegt in der tiefgreifenden Skepsis gegenüber charismatischer Führung, die die politische Kultur westlicher Demokratien nach dem Zweiten Weltkrieg prägt. Die historische Erfahrung totalitärer Führerkulte hat zu einer grundlegenden Ambivalenz gegenüber jeder Form politischen Charismas geführt.
Der Soziologe Max Weber beschrieb „charismatische Herrschaft“ als gefährliche, weil potentiell irrationale Form politischer Legitimation. In der Nachkriegszeit entwickelten westliche Demokratien institutionelle Mechanismen, die charismatische Führung systematisch begrenzen sollten – sei es durch verfassungsrechtliche Gewaltenteilung, bürokratische Versachlichung oder mediale Kontrolle. Die systematische Demontage potentieller politischer Leitfiguren kann als Teil dieses institutionalisierten Anti-Charismas verstanden werden.

Der belgische Politiktheoretiker Chantal Mouffe kritisiert diese „Entpolitisierung des Politischen“ als Charakteristikum eines „postpolitischen“ Zustands, in dem grundlegende gesellschaftliche Konflikte durch technokratisches Management ersetzt werden. Die Demontage politischer Leitfiguren führe zu einer „Leerstelle des Politischen“, die paradoxerweise populistischen Bewegungen Raum eröffne, die sich als authentische Alternative zur entleerten Elitenpolitik inszenieren können.

Die systematische Dekonstruktion heroischer politischer Leitbilder könnte somit unbeabsichtigte Konsequenzen produzieren: Statt demokratische Kultur zu stärken, führt sie möglicherweise zu einer Entleerung des politischen Raums, der dann von neuen, oft antidemokratischen charismatischen Führern gefüllt werden kann. Die überzogene Angst vor jeder Form charismatischer Führung untergräbt paradoxerweise die Fähigkeit demokratischer Systeme, überzeugende Alternativen zu autoritären Heilsversprechen zu entwickeln.
Die Dekonstruktion männlicher Heldenbilder und die Krise traditioneller Männlichkeit

Ein besonders intensiver Fokus der Heldendemontage liegt auf traditionellen männlichen Leitbildern. Die feministische Kritik hat patriarchale Heldennarrative als Instrumente männlicher Herrschaft analysiert und deren Dekonstruktion als emanzipatorisches Projekt vorangetrieben. Diese kritische Perspektive hat zweifellos wichtige Einsichten in die Geschlechterdimension heroischer Narrative ermöglicht und zur notwendigen Relativierung exklusiv männlicher Heldenbilder beigetragen.

Gleichzeitig lässt sich fragen, ob die radikale Dekonstruktion männlicher Leitbilder ohne adäquaten Ersatz nicht unintendierte negative Folgen produziert. Der Psychologe Philip Zimbardo diagnostiziert in „The Demise of Guys“ eine „Krise junger Männer“, die sich in sinkenden Bildungsleistungen, steigenden psychischen Problemen und sozialer Isolation manifestiert. Die fehlende positive Orientierung durch anerkannte männliche Leitbilder könnte zu dieser Entwicklung beitragen.

Der Kulturhistoriker Christopher Lasch beschrieb bereits in den 1970er Jahren in „The Culture of Narcissism“, wie die Erosion traditioneller Autoritäten und Leitbilder zu narzisstischen Persönlichkeitsstrukturen führen kann, die zwar äußerlich selbstbewusst erscheinen, innerlich jedoch von tiefer Verunsicherung geprägt sind. Die systematische Demontage männlicher Leitbilder könnte diese Tendenz verstärken und zu einer „Gesellschaft verunsicherter Männlichkeit“ beitragen.

Diese Entwicklung hat potentiell gesellschaftlich destabilisierende Konsequenzen. Der fehlende positive Bezug auf konstruktive männliche Leitbilder führt nicht selten zu kompensatorischen Überreaktionen – sei es in Form toxischer Männlichkeitsinszenierungen, eskapistischer Rückzüge in virtuelle Welten oder regressiver politischer Orientierungen. Die Kulturwissenschaftlerin Angela McRobbie spricht von einer „doppelten Verwicklung“ (double entanglement), bei der die öffentliche Delegitimierung traditioneller Geschlechterrollen mit deren kompensatorischer Reaktivierung in anderen gesellschaftlichen Bereichen einhergeht.

Die Sehnsucht nach dem Helden: Renaissance heroischer Narrative

Die kulturelle Persistenz des Heroischen

Trotz systematischer Dekonstruktion zeigt sich eine bemerkenswerte Persistenz heroischer Narrative in der populären Kultur. Der beispiellose Erfolg des Superhelden-Genres – von Marvel-Blockbustern bis zu komplexen Serien wie „The Boys“ oder „Watchmen“ – demonstriert das anhaltende Bedürfnis nach heroischen Erzählungen. Selbst in dekonstruierter oder ironisierter Form bleibt die Grundstruktur des heroischen Narrativs erhalten und übt ungebrochene Faszination aus.

Der Literaturwissenschaftler Joseph Campbell identifizierte in „Der Heros in tausend Gestalten“ universelle Strukturen heroischer Erzählungen, die kulturübergreifend und transhistorisch wirksam sind. Diese archetypischen Muster scheinen trotz kultureller Transformation weiterhin psychologisch wirkmächtig zu sein. Die systematische Dekonstruktion des Helden auf intellektueller Ebene steht somit in Spannung zu einem anhaltenden emotionalen und psychologischen Bedürfnis nach heroischen Orientierungspunkten.

Mein Fazit:

Die Demontage des Helden als Leitfigur in der modernen Gesellschaft erfolgt hauptsächlich durch zwei Mechanismen: Zum einen die systematische Dekonstruktion traditioneller Heldenbilder durch kritische Neubewertung historischer Figuren und zum anderen die mediale Trivialisierung moderner Vorbilder. Diese Entwicklung spiegelt einen gesellschaftlichen Wandel wider, der Individualismus über kollektive Ideale stellt und absolute moralische Maßstäbe durch Relativismus ersetzt. Die entstandene Lücke führt zu Orientierungslosigkeit, während gleichzeitig ein tiefes menschliches Bedürfnis nach inspirierenden Leitfiguren bestehen bleibt. Die Frage nach dem „Warum“ berührt letztlich einen fundamentalen Konflikt zwischen postmoderner Skepsis und dem anhaltenden Wunsch nach identitätsstiftenden Vorbildern.

In den gegenwärtigen Krisen benötigen wir womöglich eine neue Form des Helden – jedoch nicht als unerreichbare Überfigur, sondern als authentisches, fehlbares Vorbild, das dennoch entschlossen handelt. Dieser zeitgemäße Held müsste durch innere Stärke, Werteklarheit und Verantwortungsbewusstsein überzeugen, ohne Unfehlbarkeit zu beanspruchen. Wesentlich wären Verbindungsfähigkeit statt Einzelkämpfertum, reflektierte Moral statt dogmatischer Gewissheit und die Fähigkeit, Menschen zu eigenständigem Denken zu inspirieren, statt blinden Gehorsam zu fordern. Ein solcher Held wäre weniger Erlöser als vielmehr Wegbereiter für kollektives Handeln in einer komplexen Welt.