Auf der Bühne geht das Licht an. Ein großer runder Tisch, abgewetzte, ehemals purpur bespannte Stühle – 12 an der Zahl. Ansonsten symbolische Leere bis tief in das Kulissenhaus hinein. Eine Gruppe Menschen betritt den Raum – Touristen offensichtlich. Angeführt von einer Dame deren Anblick Vergangenheit ausstrahlt. Es ist Ginevra, die Gattin König Artus`, wie die spätere Handlung verrät. Alles an ihr ist Verfall, ihr Auftreten, ihr Sprechen, ihr Habitus – Relikte einer vergangenen Epoche. Sie verströmt eine Aura von Überheblichkeit, vorgeblichener Macht und Anspruchsdenken. Die Touristen machen ihre Schnappschüsse und Ginevra lenkt die Aufmerksamkeit auf die Fürstenloge gegenüber der Bühne. Eine Ritterrüstung mit geschlossenem Visier sitzt auf dem mittleren Sessel. „The Knight is real.“ betont die Touristenführerin. (Gesprochen, ein gewolltes Wortspiel). Abgang – Gruppe.
Die Bühne füllt sich erneut. Auftritt – Ritter der Tafelrunde und ihre Erben. Einstmals der Inbegriff einer gerechten, edlen und prosperierenden Epoche, sind die Ritter zu alten frustrierten Männern verkommen. Laut Christoph Hein ist ihr Leben nur noch warten, streiten, gegenseitige Versicherungen und Selbstbetrug. Man streitet über eheliche Untreue, Verdächtigungen, will alte Bräuche neu beleben und redet von Albträumen und Vatermord. Die Argumente – abgewetzt wie das Mobiliar und die Akteure selbst. Jeder geäußerte Zweifel – bereits ein Verbrechen.
Aber noch besteht eine Chance! Lanzelot, der edelste und mutigste unter ihnen ist noch nicht von seiner Suche heim gekehrt. (… und wird es — so hofft man insgeheim – auch nie. Nur solange existieren Gral und Glaubwürdigkeit.)
Aus der Tiefe des Kulissenhauses schreitet Lancelot in Richtung Bühne. Er überquert die schmale Brücke über den Graben der die Ritter vom Volk trennt, erreicht den großen Tisch. Er schüttelt den Kopf und fällt erschöpft und kantinenseelig in einen tiefen Schlaf.
Mordred, der Sohn König Artus` bezweifelt nun offen die Existenz des Grals. Der schlimmste aller Frevel. Einen Beweis für dessen Existenz können die alten Ritter indes nicht erbringen.
Mordret weigert sich Ritter der Tafelrunde zu werden. Artus redet vom Nutzen der heiligen Suche. Lanzelot erinnert, in den Augen des Volkes sind die Ritter der Tafelrunde längst Narren und Verbrecher geworden. Artus muss nachgeben. Letztendlich lobt Mordret seinen Vater für das Eingeständnis vom Scheitern der Tafelrunde. Er verbannt Mobiliar und Vergangenheit in das Museum der Geschichte und besteigt den Thron.
Verleugnung, Jubeltaumel und das übliche Weiter-So
Als ich die Vorgänge auf und um den CDU-Parteitag beobachtete fühlte ich mich an obiges Theaterstück von Christoph Hein erinnert. Jedoch mit einem gewaltigen Unterschied – dem Schluß. Denn Mordred gehört in Wahrheit zu den alten Rittern und es findet kein Vatermord statt. Kein Dolchstoß, trotz dargebotener Brust. Kein Machtwechsel trotz angebotenen Thrones. Artus bleibt König und Mordred sinkt in die Knie um Treue und Verzicht zu geloben.
Das Volk bleibt weiterhin Tourist im Museum der Demokratie. Es bekommt seine Schnappschüsse und Wahlen geboten, die schon viel zu lange nichts ändern. (Sonst wären sie sicherlich längst verboten.)
Auch die Warnungen Lancelot`s, dass er auf seiner letzten Suche vom Volk mit Steinen, statt Blumen, beworfen wurde, ändern nichts. Dann muss der Graben um Camelot halt verbreitert werden. Und Steine sind schließlich keine Argumente. Die alten Ritter sind sich einig – nicht der Gral, sondern das Warten und Ausharren sichert die Macht (vorerst). Der Jubel der Ritterschaft – längst nicht mehr aufrichtig, längst nicht mehr freiwillig – bezeugt deren fragilen Zustand.
Der Gral, von dem sie nicht mehr wissen, wie er aussehen könnte, ist kein Bierdeckel, soviel steht fest.
Während die Tafelrunde noch immer auf ihr Wunder wartet, ist im Volk längst ein Warten auf Godot entstanden. Und Godot nimmt Silhouette an. Für einige ist er schemenhaft blau, für andere ist er mal grün und mal rot je nach Blickrichtung.
In Schwarz wird Godot jedenfalls absehbar nicht in Erscheinung treten. Schwarz ist nur noch Abwesenheit. Abwesenheit von Prosperität, Charakterstärke, Ritterlichkeit und Realitätsnähe. Schwarz ist Vergangenheit und warten, und warten, und warten …
“ Und doch ist es zwecklos, nicht zu suchen, nichts zu wollen, denn wenn man aufhört zu suchen, beginnt man zu finden, und wenn man aufhört zu wollen, dann beginnt das Leben, …“
Zitat: Samuel Beckett – Watt