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Der Drang der Deutschen zur Selbstzerstörung – Beinahe eine Liebeserklärung

Der Drang der Deutschen zur Selbstzerstörung - Beinahe eine Liebeserklärung

Heute veröffentliche ich den Text aus meiner Vorlesung vom 20. Juli 2025. Ich möchte die „deutsche Seele“ unter mein persönliches Mikroskop legen, um festzustellen, ob wir Deutschen tatsächlich so „unheilbar deutsch“ sind. Auf den ersten und zweiten Blick: „Ja“. Dennoch sehe ich auch Hoffnung für dieses tüchtige Volk, das offensichtlich in allem tüchtig ist – in seiner Selbstzerstörung genauso wie in seiner Auferstehung. Dieser in Essayform verfasste Text befindet sich noch in der Rohfassung und wird als Einleitung zu meinem neuen Buch über deutsche Befindlichkeiten, deren Beziehung zur Macht und Politik, Wirtschaft, anderen Völkern und der Familie dienen. Mein Dank gilt all jenen, die dieser Lesung beigewohnt haben und sich dazu bereits äußerten. Für alle, die diese Lesung verpasst haben, aber dennoch Interesse an dem Text zeigten, hier ein kleiner Auszug für hoffentlich anregende Gespräche:

Auszug:

Es gibt Völker, die ihre Geschichte wie einen Mantel tragen, würdevoll und selbstverständlich. Und es gibt solche, die sie wie einen Mühlstein um den Hals schleppen, stöhnend unter dem Gewicht vergangener Epochen. Die Deutschen gehören zweifellos zur zweiten Kategorie, wobei sie die bemerkenswerte Eigenschaft entwickelt haben, aus diesem Mühlstein noch zusätzliche Steine zu meißeln, um sich das Leben noch schwerer zu machen. Man könnte dies als eine besondere Form der Kreativität betrachten, wäre es nicht so tragisch produktiv in seiner Destruktivität.

Die vorliegende Untersuchung unternimmt den Versuch, diesem eigentümlichen Phänomen auf den Grund zu gehen, wobei der Autor sich bewusst ist, dass er damit ein Terrain betritt, das von Minenfeldern ideologischer Befindlichkeiten durchzogen ist. Doch was wäre die deutsche Seele ohne ihre Abgründe, was wäre der deutsche Geist ohne seine Selbstquälerei? Es ist, als hätte Goethe seinen Faust nicht als Warnung, sondern als Gebrauchsanweisung für ein ganzes Volk geschrieben. Der Pakt mit dem Bösen wurde längst geschlossen, nur dass Mephistopheles inzwischen die Gestalt des kollektiven Über-Ichs angenommen hat, das unermüdlich flüstert: Du bist nicht gut genug, du warst nie gut genug, du wirst nie gut genug sein.

In der Tat scheint es, als hätten die Deutschen eine Art nationale Neurose entwickelt, die sich in periodischen Anfällen von Selbsthass und Selbstzerstörung äußert. Dabei ist bemerkenswert, mit welcher Gründlichkeit und Systematik dieses Volk an seiner eigenen Demontage arbeitet. Andere Nationen mögen ihre dunklen Kapitel haben, aber sie verstehen es, diese in den Kellergewölben der Erinnerung zu verwahren und darüber ein neues Stockwerk zu errichten. Die Deutschen hingegen haben aus ihren Kellern einen Schrein gemacht, vor dem sie täglich niederknien und Buße tun für Sünden, die längst zu Staub zerfallen sind, während sie gleichzeitig neue Sünden begehen im Namen der Läuterung.

Es ist ein Paradox von geradezu dialektischer Schönheit: Ein Volk, das sich selbst als das der Dichter und Denker versteht, hat es fertiggebracht, das Denken zu einem Instrument der Selbstkasteiung zu pervertieren. Wo einst Kant das sapere aude proklamierte, herrscht heute ein sapere nolo – ein entschiedenes Nichtwissenwollen, wenn es um die eigenen Stärken geht, kombiniert mit einer obsessiven Fixierung auf die eigenen Schwächen. Es ist, als hätte man Nietzsches Übermenschen durch seinen Gegenentwurf ersetzt: den deutschen Untermenschen, der in der Selbstverachtung seine höchste Vollendung findet.

Diese Selbstzerstörung vollzieht sich nicht in den großen Gesten des heroischen Untergangs, wie sie die Romantik einst verherrlichte. Sie ist subtiler, perfider, bürokratischer. Sie geschieht in Kommissionen und Arbeitsgruppen, in Studien und Expertisen, in einer endlosen Kette von Selbstbezichtigungen und Selbstverbesserungsversprechen. Die Deutschen haben das industrielle Verfahren auf die Seelenmassage angewendet und dabei eine Effizienz entwickelt, die ihre berühmten Ingenieure vor Neid erblassen ließe. Wenn Selbstzerstörung eine Olympische Disziplin wäre, hätten die Deutschen alle Medaillen abgeräumt und würden anschließend eine Kommission einsetzen, um zu untersuchen, ob ihr Sieg nicht vielleicht unfair war.

Dabei ist es nicht so, als mangelte es diesem Volk an Grund zum Selbstbewusstsein. In den vergangenen Jahrzehnten haben die Deutschen eine der stabilsten Demokratien der Welt aufgebaut, eine Wirtschaftsmacht geschaffen, die ihresgleichen sucht, eine Kultur hervorgebracht, die von Bach bis Beuys reicht. Aber all das wird überlagert von einem seltsamen Bedürfnis, das Erreichte kleinzureden, zu relativieren, in Frage zu stellen. Es ist, als würde ein Tennisstar nach jedem Sieg sofort eine Pressekonferenz abhalten, um zu erklären, warum er eigentlich hätte verlieren müssen.

Dieses Phänomen ist nicht auf eine bestimmte politische Richtung beschränkt. Es durchzieht alle Schichten der Gesellschaft, alle Parteien, alle Institutionen. Rechts wie links, oben wie unten, überall findet man diese eigentümliche Mischung aus Größenwahn und Selbsthass, die so typisch deutsch ist. Die Rechten träumen von einem Zurück-wohin-auch-immer. Die Linken wollen die Welt retten und glauben nicht daran, dass Deutschland dazu in der Lage wäre. Die Mitte schwankt zwischen beiden Extremen und nennt das ausgewogene Politik.

Man könnte vermuten, dass dieses Verhalten eine Folge der historischen Traumata des 20. Jahrhunderts ist, und zweifellos spielen diese eine Rolle. Aber das erklärt nicht, warum andere Nationen mit ähnlich belasteten Geschichten einen anderen Weg gefunden haben. Die Japaner haben Hiroshima und Nagasaki hinter sich gelassen und sind zu einer Kulturnation geworden. Die Spanier haben Franco überwunden und sich zu einer modernen Demokratie entwickelt. Die Deutschen hingegen scheinen ihre Vergangenheit wie eine chronische Krankheit zu kultivieren, die zwar nicht tödlich ist, aber das Leben zur Qual macht.

Vielleicht liegt das Problem tiefer, in der deutschen Seele selbst, die seit Jahrhunderten zwischen Extremen hin- und herpendelt. Entweder Heiliges Römisches Reich oder Kleinstaaterei, entweder Sturm und Drang oder Biedermeier, entweder Größenwahn oder Selbstverachtung. Es scheint, als hätten die Deutschen nie gelernt, die Mitte zu finden, das Maß zu halten. Sie sind ein Volk der Superlative, auch im Negativen. Wenn sie sich schon selbst zerstören, dann wenigstens gründlich.

Betrachten wir etwa die deutsche Sprache, diese herrliche, komplexe, präzise Sprache, die Goethe und Schiller, Heine und Brecht hervorgebracht hat. Was machen die Deutschen daraus? Sie verunstalten sie mit Anglizismen, verstümmeln sie mit Gendersternchen, verwässern sie mit politischer Korrektheit. Es ist, als würde man eine Stradivari nehmen und sie als Brennholz verwenden. Die Sprache, die einst die Sprache der Philosophie und der Dichtung war, wird zu einem Instrument der Selbstunterwerfung.

Oder nehmen wir die deutsche Industrie, einst der Stolz der Nation, Symbol für Qualität und Innovation. Was geschieht mit ihr? Sie wird demontiert im Namen des moralischen Fortschritts, verlagert im Namen der Globalisierung, reguliert im Namen des Umweltschutzes. Natürlich sind Umweltschutz und Globalisierung wichtige Themen, aber nur die Deutschen schaffen es, aus jeder Herausforderung eine Gelegenheit zur Selbstaufgabe zu machen. Andere Nationen nutzen den Wandel als Chance, die Deutschen als Buße.

Diese Tendenz zur Selbstkasteiung zeigt sich auch in der deutschen Außenpolitik. Während andere Länder ihre Interessen verfolgen und das auch offen sagen, sprechen deutsche Politiker von „Verantwortung“ und meinen damit meist Verzicht. Deutschland soll zahlen, Deutschland soll helfen, Deutschland soll sich zurücknehmen. Immer sind es die anderen, die Rechte haben, Deutschland hat nur Pflichten. Es ist eine merkwürdige Form des Imperialismus: der Imperialismus der Selbstverleugnung.

Man fragt sich, ob dieser Masochismus nicht auch eine Form von Narzissmus ist. Wer sich so intensiv mit seiner eigenen Schlechtigkeit beschäftigt, macht sich immer noch zum Mittelpunkt des Universums. Die deutsche Schuld wird zu einer neuen Form der deutschen Größe: Wir sind die Schlechtesten, also sind wir die Wichtigsten. Es ist eine perverse Logik, aber eine, die funktioniert. Deutschland mag seine Wirtschaftsmacht verlieren, seine kulturelle Ausstrahlung, seinen politischen Einfluss – seine moralische Selbstgeißelung macht es immer noch einzigartig.

Dabei übersehen die Deutschen, dass ihre permanente Selbstkritik längst zu einer neuen Form der Arroganz geworden ist. Wer ständig betont, wie schlecht er ist, erwartet Bewunderung für seine Ehrlichkeit. Wer sich permanent entschuldigt, macht deutlich, dass er sich für wichtig genug hält, um entschuldigt zu werden. Die deutsche Demut ist eine Tarnung für deutschen Hochmut, die deutsche Bescheidenheit eine Maske für deutsche Überheblichkeit.

Es ist bezeichnend, dass diese Selbstzerstörung immer im Namen höherer Werte geschieht. Die Deutschen zerstören sich nicht aus Lust an der Zerstörung, sondern aus Liebe zur Moral. Sie opfern ihre Interessen nicht dem Egoismus, sondern dem Altruismus. Sie schwächen sich nicht aus Schwäche, sondern aus Stärke. Es ist die reinste Form der Perversion: das Böse im Namen des Guten zu tun.

Betrachten wir die deutsche Geschichtspolitik. Kein anderes Volk beschäftigt sich so intensiv mit seiner Vergangenheit, kein anderes hat so viele Gedenkstätten, Denkmäler, Erinnerungsrituale. Das ist an sich ehrenwert, aber die Deutschen haben daraus eine Industrie gemacht, einen Kult, eine Religion. Die Vergangenheit wird nicht bewältigt, sondern zelebriert. Nicht im Sinne einer Verherrlichung, sondern im Sinne einer ewigen Selbstanklage. Es ist, als hätten die Deutschen beschlossen, ihre Geschichte nicht zu überwinden, sondern sie zu ihrem Schicksal zu machen.

Diese obsessive Beschäftigung mit der Vergangenheit hat zur Folge, dass die Gegenwart aus dem Blick gerät. Während die Deutschen die Verbrechen von vor achtzig Jahren erforschen, übersehen sie die Probleme von heute. Während sie sich für die Sünden ihrer Großväter entschuldigen, ignorieren sie die Herausforderungen ihrer Kinder. Es ist eine Form der historischen Flucht: Man beschäftigt sich mit der Vergangenheit, um nicht über die Zukunft nachdenken zu müssen.

Dabei ist es paradox: Je mehr sich die Deutschen mit ihrer Geschichte beschäftigen, desto weniger lernen sie aus ihr. Die Lehre aus der Vergangenheit sollte sein, dass Extremismus gefährlich ist. Stattdessen haben die Deutschen den Extremismus nur verlagert: vom politischen ins moralische. Sie sind nicht mehr extrem nationalistisch, sondern extrem selbstkritisch. Sie sind nicht mehr extrem stolz auf ihr Land, sondern extrem beschämt über es. Das Pendel schlägt in die andere Richtung aus, aber es bleibt ein Extremismus.

Diese Extreme zeigen sich auch in der deutschen Mentalität des Alles-oder-Nichts. Die Deutschen können nicht einfach nur ein bisschen umweltbewusst sein, sie müssen die Welt retten. Sie können nicht einfach nur tolerant sein, sie müssen die Toleranz erfinden. Sie können nicht einfach nur demokratisch sein, sie müssen die beste Demokratie der Welt haben. Und wenn sie merken, dass sie nicht perfekt sind, dann sind sie sofort die Schlechtesten. Es gibt keine Zwischentöne, keine Grautöne, nur Schwarz oder Weiß.

Diese Schwarz-Weiß-Mentalität durchzieht alle Bereiche des deutschen Lebens. In der Wirtschaft gibt es nur Wachstum oder Krise, in der Politik nur Fortschritt oder Reaktion, in der Kultur nur Avantgarde oder Spießertum. Die Deutschen haben verlernt, dass das Leben hauptsächlich aus Grautönen besteht, aus Kompromissen, aus unvollkommenen Lösungen für komplizierte Probleme. Sie wollen immer das Absolute, das Reine, das Vollkommene. Und da es das nicht gibt, zerbrechen sie daran.

Vielleicht ist das der Kern des deutschen Problems: die Unfähigkeit zur Ironie. Andere Völker können über sich selbst lachen, können ihre eigenen Schwächen mit Humor betrachten, können Widersprüche aushalten, ohne daran zu zerbrechen. Die Deutschen nehmen sich und alles andere bittererst. Sie können nicht lachen über ihre eigenen Marotten, ihre eigenen Eigenarten, ihre eigenen Widersprüche. Alles muss Bedeutung haben, alles muss wichtig sein, alles muss ernst genommen werden.

Diese Humorlosigkeit ist vielleicht die verheerendste Form der deutschen Selbstzerstörung. Denn wer nicht über sich lachen kann, wird zum Gefangenen seiner selbst. Wer jeden Fehler als Katastrophe betrachtet, wird handlungsunfähig. Wer jede Kritik als vernichtend empfindet, wird zum Neurotiker. Die Deutschen haben aus ihrer Geschichte den falschen Schluss gezogen: Nicht dass man Fehler vermeiden muss, sondern dass man keine machen darf. Und da Fehler menschlich sind, bedeutet das letztendlich, dass man nicht menschlich sein darf.

Werfen wir einen Blick auf die deutsche Bürokratie, diese perfekte Metapher für den deutschen Geist. Ursprünglich geschaffen, um Ordnung zu schaffen, hat sie sich zu einem Selbstzweck entwickelt. Regeln werden nicht mehr erlassen, um Probleme zu lösen, sondern um Regeln zu haben. Verfahren werden nicht mehr angewendet, um Ziele zu erreichen, sondern um Verfahren anzuwenden. Die Form hat den Inhalt verschlungen, die Mittel sind zum Zweck geworden. Es ist die Bürokratisierung des Lebens, die Verrechtlichung der Existenz, die Regulierung der Seele.

Und überall in dieser Bürokratie findet man das gleiche Muster: die Lust an der Selbstbeschränkung, die Freude am Verzicht, das Vergnügen am Verbot. Es ist, als hätten die Deutschen entdeckt, dass man Macht auch dadurch ausüben kann, dass man sie nicht ausübt. Wer sich selbst die strengsten Regeln auferlegt, kann sich moralisch überlegen fühlen. Wer am meisten verzichtet, gewinnt. Es ist eine perverse Form des Wettbewerbs: Wer kann sich am meisten selbst schaden?

Diese Logik durchzieht auch die deutsche Wirtschaftspolitik. Während andere Länder versuchen, ihre Wirtschaft zu stärken, versucht Deutschland, seine Wirtschaft zu zivilisieren. Gewinn ist verdächtig, Erfolg ist peinlich, Wettbewerb ist unfair. Stattdessen soll die Wirtschaft dienen: der Umwelt, der Gesellschaft, der Moral. Das ist an sich nicht verkehrt, aber die Deutschen übertreiben auch hier. Sie wollen nicht nur eine erfolgreiche Wirtschaft, sondern eine moralische Wirtschaft. Und da Moral und Erfolg oft in Konflikt stehen, wählen sie die Moral und wundern sich über den ausbleibenden Erfolg.

Es ist bezeichnend, dass Deutschland in vielen Zukunftstechnologien den Anschluss verloren hat. Nicht weil es an technischen Fähigkeiten mangelte, sondern weil man sich zu viele Gedanken über die moralischen Implikationen gemacht hat. Während andere Länder Atomkraft genutzt haben, hat Deutschland sie verteufelt. Während andere Gentechnik entwickelt haben, hat Deutschland sie reguliert. Während andere künstliche Intelligenz vorangetrieben haben, hat Deutschland über die Ethik diskutiert. Am Ende haben die anderen die Technologie und Deutschland die Ethik. Aber Ethik ohne Macht ist folgenlos, Moral ohne Mittel ist wirkungslos.

Dieses Muster zeigt sich auch in der deutschen Außenpolitik. Deutschland will eine moralische Macht sein, aber keine reale Macht. Es will Einfluss ohne Verantwortung, Ansehen ohne Risiko, Führung ohne Führungsanspruch. Andere Länder definieren ihre Interessen und verfolgen sie. Deutschland definiert seine Werte und opfert sie. Es ist eine Politik der guten Absichten und schlechten Ergebnisse, eine Diplomatie der Prinzipien und der Erfolglosigkeit.

Besonders deutlich wird diese Haltung in der Europapolitik. Deutschland ist das größte und wirtschaftlich stärkste Land der EU, aber es verhält sich wie der kleinste und schwächste Partner. Es zahlt am meisten, bestimmt am wenigsten. Es trägt die größte Verantwortung, hat aber den geringsten Einfluss. Andere Länder nutzen die EU für ihre Zwecke, Deutschland dient der EU als Zweck an sich. Es ist eine Politik der Selbstaufopferung, die niemand dankt und nichts erreicht.

Vielleicht ist das das eigentliche Problem: Deutschland hat aufgehört, ein normales Land zu sein. Es will entweder ein außergewöhnlich gutes Land sein oder ein außergewöhnlich schlechtes. Es kann nicht einfach nur ein Land unter anderen sein, mit Stärken und Schwächen, mit Interessen und Werten, mit Erfolgen und Fehlern. Es muss immer besonders sein, immer extrem, immer absolut. Und da Perfektion unmöglich ist, bleibt nur die Selbstzerstörung.

Diese Haltung hat auch Auswirkungen auf die deutsche Gesellschaft. Das Streben nach moralischer Perfektion hat zu einer Atmosphäre der permanenten Anspannung geführt. Jedes Wort wird auf die Waagschale gelegt, jede Geste interpretiert, jeder Scherz analysiert. Die Deutschen haben verlernt, entspannt zu sein, natürlich zu sein, menschlich zu sein. Sie sind zu Schauspielern in ihrem eigenen Leben geworden, die ständig darauf achten müssen, ihre Rolle richtig zu spielen.

Diese Verkrampfung zeigt sich auch in der deutschen Sprache der Gegenwart. Sie ist gespickt mit Euphemismen, Vermeidungsformeln, präventiven Entschuldigungen. Man sagt nicht mehr, was man denkt, sondern was man denken sollte. Man formuliert nicht mehr spontan, sondern politisch korrekt. Die Sprache, die einst das Werkzeug der Dichter und Denker war, ist zum Instrument der Angepassten und Ängstlichen geworden. Es ist eine Sprache des Verzichts, der Selbstzensur, der freiwilligen Unterwerfung.

Und überall findet man die gleiche Logik: Statt Probleme zu lösen, schafft man sie ab, indem man sie umbenennt. Statt Schwierigkeiten anzugehen, erklärt man sie weg. Statt Konflikte auszutragen, vermeidet man sie. Es ist eine Politik der Realitätsverweigerung, die sich als Realitätsbewältigung tarnt. Man flüchtet sich in die Sprache, um der Wirklichkeit zu entgehen.

Besonders absurd wird diese Haltung, wenn man betrachtet, wie die Deutschen mit ihren eigenen Erfolgen umgehen. Jeder Erfolg wird sofort relativiert, jede Leistung kleingemacht, jeder Fortschritt in Frage gestellt. Es ist, als hätten die Deutschen Angst vor dem eigenen Erfolg, als würden sie sich vor ihrer eigenen Tüchtigkeit fürchten. Sie haben das Scheitern zu ihrer Komfortzone gemacht und den Erfolg zu ihrer Bedrohung.

Man könnte diese Haltung als Bescheidenheit interpretieren, aber es ist keine echte Bescheidenheit. Echte Bescheidenheit kennt ihre Grenzen, aber auch ihre Fähigkeiten. Deutsche „Bescheidenheit“ kennt nur ihre Grenzen und leugnet ihre Fähigkeiten. Es ist eine falsche Bescheidenheit, eine neurotische Bescheidenheit, eine destruktive Bescheidenheit. Sie dient nicht der Selbsterkenntnis, sondern der Selbstverachtung.

Diese falsche Bescheidenheit hat auch eine soziale Funktion: Sie ist ein Mittel der Abgrenzung. Wer sich permanent selbst kritisiert, zeigt, dass er zu den Guten gehört. Wer seine eigenen Erfolge kleinredet, demonstriert seine moralische Überlegenheit über die, die stolz auf ihre Leistungen sind. Es ist eine Form des Klassenkampfs mit umgekehrten Vorzeichen: Die Guten erkennt man daran, dass sie schlecht über sich reden.

Aber diese Strategie hat einen Haken: Sie funktioniert nur, solange alle mitmachen. Sobald jemand die Regeln des Spiels durchschaut und sich weigert mitzuspielen, bricht das ganze System zusammen. Und genau das geschieht gerade. Andere Länder, andere Kulturen lassen sich nicht mehr von der deutschen Selbstgeißelung beeindrucken. Sie sehen darin nicht Moral, sondern Schwäche. Sie interpretieren deutsche Zurückhaltung nicht als Bescheidenheit, sondern als Mangel an Selbstbewusstsein.

Das führt zu einer paradoxen Situation: Je mehr sich Deutschland zurücknimmt, desto weniger wird es respektiert. Je mehr es auf seine Interessen verzichtet, desto mehr werden seine Interessen ignoriert. Je moralischer es sich gebärdet, desto unmoralischer wird es behandelt. Es ist ein Teufelskreis der Selbstschwächung, der nur durch eine radikale Umkehr gestoppt werden kann.

Aber eine solche Umkehr ist unwahrscheinlich, denn sie würde eine fundamentale Änderung der deutschen Mentalität erfordern. Die Deutschen müssten lernen, dass Stärke nicht automatisch böse ist, dass Erfolg nicht automatisch verdächtig ist, dass nationale Interessen nicht automatisch verwerflich sind. Sie müssten lernen, dass man ein guter Mensch sein kann, ohne ein schwacher Mensch zu sein, dass man moralisch sein kann, ohne masochistisch zu sein.

Vor allem aber müssten die Deutschen lernen, über sich selbst zu lachen. Sie müssten erkennen, dass ihre Selbstquälerei nicht ehrenwert ist, sondern lächerlich. Sie müssten verstehen, dass ihre permanente Selbstkritik nicht Ausdruck von Tiefe ist, sondern von Oberflächlichkeit. Sie müssten begreifen, dass ihre Unfähigkeit, stolz auf sich zu sein, nicht Bescheidenheit ist, sondern Dummheit.

Aber das ist vielleicht zu viel verlangt von einem Volk, das sich selbst zum Gefangenen seiner eigenen Vergangenheit gemacht hat. Die Deutschen sind süchtig nach ihrer eigenen Schuld, abhängig von ihrer eigenen Scham, gefangen in ihrer eigenen Selbstverachtung. Sie haben aus ihrer Geschichte nicht die Lehre gezogen, dass man aus Fehlern lernen soll, sondern dass man für Fehler büßen muss. Und da die Buße nie genug ist, wird sie zum Lebensinhalt.

Es ist eine tragische Ironie: Ein Volk, das einst für seine Gründlichkeit berühmt war, wendet diese Gründlichkeit nun auf seine eigene Zerstörung an. Ein Volk, das einst für seine Präzision bewundert wurde, ist präzise in seiner Selbstzerfleischung. Ein Volk, das einst für seine Effizienz geschätzt wurde, ist effizient in seiner Ineffizienz. Es ist die Perfektion der Selbstzerstörung, die Vollendung der Unvollkommenheit, die Meisterschaft im Versagen.

Und dabei übersehen die Deutschen das Wichtigste: Ihre Selbstzerstörung zerstört nicht nur sie selbst, sondern auch das, wofür sie einst standen. Die deutsche Kultur, die deutsche Wissenschaft, die deutsche Technik – all das wird mit untergehen, wenn Deutschland sich weiter auf seinem Weg der Selbstaufgabe bewegt. Es ist nicht nur ein nationaler Suizid, sondern ein kultureller, ein geistiger, ein menschlicher.

Vielleicht ist das der Preis, den die Deutschen für ihre Vergangenheit zu zahlen bereit sind. Vielleicht glauben sie, dass sie ihre historischen Verbrechen nur durch kulturellen Suizid sühnen können. Vielleicht ist ihre Selbstzerstörung ihr letzter Beitrag zur Weltgeschichte: die Demonstration, wie man sich aus schlechtem Gewissen zu Tode quält.

Aber das wäre eine Verschwendung enormer Potentiale. Deutschland hat so viel zu bieten: seine Wissenschaft, seine Technik, seine Kultur, seine Erfahrungen. All das könnte der Welt helfen, die Zukunft zu gestalten. Stattdessen beschäftigt sich Deutschland mit seiner Vergangenheit und überlässt die Zukunft anderen. Es ist ein Rückzug aus der Geschichte im Namen der Geschichte, eine Flucht aus der Verantwortung im Namen der Verantwortung.

Die Frage ist, ob es noch Hoffnung gibt. Ob die Deutschen noch einmal den Mut fassen können, sich selbst zu mögen. Ob sie noch einmal lernen können, dass Selbstkritik gut ist, aber Selbsthass destruktiv. Ob sie noch einmal verstehen können, dass man seine Vergangenheit bewältigen muss, um seine Zukunft gestalten zu können. Ob sie noch einmal begreifen können, dass Stärke und Moral sich nicht ausschließen, sondern ergänzen.

In diesem Sinne ist die folgende Untersuchung nicht nur eine Analyse, sondern auch ein Appell. Ein Appell an die Deutschen, endlich aufzuhören mit ihrer Selbstquälerei und anzufangen mit ihrem Leben. Ein Appell, die Vergangenheit ruhen zu lassen und die Zukunft zu gestalten. Ein Appell, sich selbst so zu nehmen, wie sie sind: nicht perfekt, aber wertvoll, nicht makellos, aber liebenswert, nicht übermenschlich, aber menschlich.

Es ist Zeit für eine neue deutsche Normalität. Zeit für einen neuen deutschen Realismus. Zeit für eine neue deutsche Selbstachtung. Die Selbstzerstörung hat lange genug gedauert.