In einem meiner früheren Beiträge schrieb ich, dass wir in einem Land leben, in dem die Mülltüten besser riechen können, als die Lebensmittel die man uns verkauft. Je mehr ich mich mit dem Thema Lebensmittel beschäftige, desto mehr komme ich zu dem Schluss, dass der Wert für die Ernährung bei beiden ähnlich gelagert sein könnte.
Angesicht zunehmender Verarmung in der Bevölkerung, besonders bei Rentnern, Alleinerziehenden und den unteren Einkommensschichten erscheinen mir die anmaßenden Ratschläge adipöser Politiker & Politikerinnen völlig wirklichkeitsfremd. Wenn lebensunerfahrene 28-Jährige mit einem Monatseinkommen das in etwa der Jahresrente einer Mutter mit 2 Kindern entspricht, Ratschläge zu teurerem Lebensmittelkonsum oder gar dem Verzicht auf bestimmte Erzeugnisse wie Fleisch erteilen, stellen sich mir die Nackenhaare hoch.
Der Konsument habe es in der Hand mit seinem Kaufverhalten die Industrie in die Knie zu zwingen und somit das Angebot zu bestimmen lautet das gängige Narrativ. Er sei mit seinem Kaufverhalten einzig und allein dafür verantwortlich, dass die Supermärkte mit Billig-Lebensmitteln, gefaktem Bio-Food und anderem Gammelzeug geflutet werden. Nun, meines Wissens sind es nicht die Konsumenten, die diese Produkte herstellen und die Supermärkte damit fluten …
Masse, statt Klasse – Hauptsache volle Regale
Sicherlich ist es für Menschen mit solidem Einkommen und vorhandener Mobilität möglich bei Produzenten in lokaler Nähe oder auf Bauern-, und Wochenmärkten hochwertige Lebensmittel zu erstehen. Dennoch bleibt für die Mehrheit der Bevölkerung diese Möglichkeit aus naheliegenden Gründen verschlossen. Sei es wegen der hohen Preise, aus Zeitgründen oder aus fehlendem Wissen um Details.
Klassischerweise folgen unsere Lebensmittel einem einfachen Weg: Nämlich vom Bauernhof auf den Teller des Bürgers. Mittlerweile gibt es aber viele Stationen auf dem Weg zum Verbraucher, wie die Lebensmittelverarbeitung, der Transport der Tiere und Ernteprodukte, die Zwischenlagerung für Lebensmittel und dann letztendlich der Einzelhandel selbst. Oft wird diesen Zwischenstopps eine höhere Bedeutung eingeräumt als dem Produzenten selbst, sind sie doch die eigentlichen Preistreiber. Denn auf Grund ihrer Energie-, und Lohnkosten treiben sie die Preise in die Höhe. Das bedeutet für den Verbrauer hohe Preise, die letztendlich von der Industrie kompensiert werden müssen, um im Wettbewerb auf dem Markt überleben zu können. Das ist für die Produzenten letztendlich nur über Qualität und Kosten möglich.
Etikettenschwindel nur ein Kavaliersdelikt?
Sei es der EU-genormte Apfel aus Neuseeland (Äpfel aus dem Havelland oder dem Alten Land bei Hamburg entsprechen einer europäischen Norm nicht!), oder seien es Nordsee-Krabben die per Flugzeug nach Marokko zum Schälen/Pulen geflogen werden und dann wieder zurück in unsere Supermärkte verbracht werden müssen, Billig-Rosensträuße aus Kenia – selbstverständlich „fair gehandelt“, oder Tomaten und Gurken die nie Erde gesehen haben und nicht zuletzt das „San Pellegrino“ welches per LKW über die Alpen transportiert werden muss, da wir in Deutschland unbedingt italienisches Trinkwasser benötigen. Die Beispiele wären endlos…
Bei den Verbrauchern hat sich bereits einiges im Denken verändert. Wenn auch nur langsam aus oben genannten Gründen, etabliert sich der Trend zu hochwertigeren Erzeugnissen – den sogenannten Bio-Produkten.
Der Umsatz mit Bio-Lebensmittel erreichte im Jahr 2021 eine neue Rekordsumme – Der deutsche Lebensmittelhandel setzte mit dem Verkauf von Lebensmitteln in Bio-Qualität rund 15,87 Milliarden Euro um. Dies entspricht einem Umsatzwachstum von 5,8 Prozent gegenüber dem Vorjahr. In den vergangenen zehn Jahren konnte der Umsatz mit Bio-Lebensmitteln damit mehr als verdoppelt werden.
Im Jahr 2021 lag der Marktanteil von Bio-Lebensmitteln bei rund 6,8 Prozent. Damit fügt sich die Marktentwicklung Deutschlands in den globalen Trend ein. … Besonders beliebt in Deutschland ist dabei der Konsum von Bio-Eiern und Bio-Obst und -Gemüse.
Quelle – Statista
Ursprünglich sollte das EU-Biosiegel für eine Hochwertigkeit und vorgegebene Qualitätsstandards stehen. Für Produkte, die dieses Siegel tragen, gilt die Öko-Verordnung 834/2007. Sie legt zum Beispiel fest, dass beim Anbau von Obst und Gemüsesorten keinerlei Gentechnik eingesetzt werden darf. Aber auch für verwendete Düngemittel gelten strenge Vorgaben. Private Öko-Kontrollstellen sind dafür verantwortlich, die Einhaltung der Vorschriften zu gewährleisten. Diese müssen von der EU zugelassen werden. Sie kontrollieren landwirtschaftliche Betriebe vor Ort. Hier könnte der Pferdefuß dieser Angelegenheit steckten, denn …
„Der Produzent vor Ort kann sich aussuchen, welche Öko-Kontrollstelle oder wer genau ihn kontrolliert.“ Das könne zu einer höheren Betrugsrate führen: „Der Unterschied im Preis von konventionellen Produkten und ökologischen Produkten ist sehr groß und deswegen ist es attraktiv für Betrüger, in diesem Segment Sachen unterzujubeln, die eigentlich gar keine Bio-Produkte sind.“
Quelle – Foodwatch
So erhielten z.B. Bio-Äpfel aus Argentinien, Olivenöl aus Tunesien, Hülsenfrüchte aus China dieses Siegel, obwohl diese deutliche Spuren von Pestiziden und Insektiziden enthielten. Die nächste Frage die sich mir stellt, lautet: Wie können solche Produkte Bio sein, wenn sie von so weit her transportiert werden müssen? Wieder wird dem Verbraucher der „Schwarze Peter“ zugeschoben.
Bei Foodwatch heißt es dazu:
„Das ist teilweise einfach, weil es eine hohe Nachfrage gibt und der Bedarf nicht zu jeder Jahreszeit gedeckt wird.“ Produkte wie Kaffee und Bananen gibt es außerdem in der EU nicht oder nicht in ausreichender Menge. „Aber das ist auch erstmal nicht per se schlecht, wenn denn tatsächlich Bio drin ist, wenn Bio drauf steht.“
Quelle – Foodwatch
Ist es dem Konsumenten tatsächlich wichtig, dass ihm bis zu 35 Sorten Mineralwasser angeboten werden? Ist es tatsächlich wichtig ob statt ein bis zwei Sorten Orangen 5 Sorten angeboten werden? Warum werden Obst-, und Gemüsearten um die halbe Welt geflogen von denen wir oftmals nicht einmal die Namen kennen, bzw. die letztendlich schmecken wie einheimische Früchte. Kauft der Kunde aus dieser Auswahl, weil sie nun einmal da sind? Oder sind sie da, weil der Kunde nach Sorten fragt, die er gar nicht kennt? Also das Huhn oder das Ei?
Verantwortung auf Kunden abwälzen & billig produzieren?
Große Lebensmittel- und Getränkeunternehmen, die sich mit der Verarbeitung und Herstellung von landwirtschaftlichen Rohprodukten und somit mit dem Profit auf den globalen Märkten beschäftigen, spielen längst eine übergroße Rolle bei der Entstehung von Ungleichheiten in der menschlichen Gesundheit und der ökologischen Nachhaltigkeit. Der Markt im Lebensmittelbereich befindet sich im Krieg.
Die lebensmittelverarbeitenden Unternehmen verdienen derzeit ca. ein Viertel jeden Euros , der für Lebensmittel ausgegeben wird, wobei nur eine Handvoll Unternehmen 98,4 % des Marktanteils z.B. in einigen Kategorien von Fertiggerichten kontrollieren. Im Vergleich dazu bekommen die Landarbeiter und Bauern, von denen die meisten nicht durch faire Entlohnung geschützt sind, nur acht Cent für jeden Euro, der für Lebensmittel ausgegeben wird.
Lebensmittelverarbeitende Unternehmen wie Nestlé (Schweiz), Coca Cola (USA), Danone (Frankreich) und Unilever (Großbritannien/Niederlande) sind die großen Entscheider und Gewinner im globalen Lebensmittelsystem und üben fast uneingeschränkten Einfluss darauf aus, was und wie viel von den Bauern produziert wird sowie was von Verbrauchern gegessen wird.
Jeffrey Sachs betonte vor dem jüngsten Food Systems Summit der UN :
„Wir haben ein Welternährungssystem. Es basiert auf großen multinationalen Unternehmen; es basiert auf privaten Gewinnen; und es basiert auf einer radikalen Verweigerung der Rechte armer Menschen.“
Trotz alledem fordern internationale Agenden oft Reformen von den ohnehin gebeutelten Landwirten und Verbrauchern – nicht aber von den Konzernen. So wird der Agrarsektor weithin wegen Treibhausgasemissionen, Bodenverschlechterung und Wasserverbrauch kritisiert. Im Gegensatz dazu wird aber wenig über die künstlich geschaffene Nachfrage nach Erzeugnissen aus landwirtschaftlichen Nutzpflanzen und Nutztieren, einschließlich raffiniertem Zucker, Maissirup mit hohem Fructosegehalt und Fleisch und Fetten tierischen Ursprungs, erwähnt.
Während Fast-Food-Unternehmen und Lebensmittelverarbeiter übermäßiges Essen in ihren Erzeugnissen durch verschiedene Zusätze wie Geschmacksverstärker und Zucker, oder unwahrer Aussagen in ihrer Produktwerbung fördern, schaffen sie eine übermäßige Verbrauchernachfrage und üben einen unangemessenen Druck auf die landwirtschaftlichen Betriebe aus, riesige Mengen billiger, nicht nachhaltig produzierter Lebensmittel zu liefern.
Die Landwirte selbst sind nicht mehr in der Lage, die endgültige Verwendung der von ihnen produzierten Getreides, Gemüse etc. zu bestimmen, sondern sind in der Abhängigkeit z.B. von der Chemieindustrie wie Bayer-Monsato aka Bill Gates gefangen – sie müssen sich auf den teuren und vertraglich gebundenen Einsatz von Pestiziden und Düngemitteln einlassen, um die Erträge zu steigern und auf dem Weltmarkt zu überleben. Ihr Land und ihre Produktionskapazitäten werden folglich biologisch entwertet, wodurch neuer wirtschaftlicher Druck entsteht, um den ständig steigenden Anforderungen der Lebensmittelverarbeitungsunternehmen gerecht zu werden.
Die Macht bestimmt auch die Agenda der Schuld
Anstatt eine Rechenschaftspflicht von der Lebensmittelindustrie einzufordern, wird die Ursache auf den „Verbraucher als Akteur des Wandels“ abgewälzt. Er soll eine Nachfrage nach nachhaltig produzierter, qualitativ hochwertigen und gesunden Nahrungsmittel schaffen.
Pseudo-Bemühungen wie fleischlose Montage , öffentliche Aufklärungskampagnen und Fleischrationierungen als akt der Nachhaltigkeit und Solidarität werden als Lösungen für das „schlechte Verhalten der Verbraucher“ vorgeschlagen, die letztendlich am Ende der Lieferkette stehen und angeblich in der besten Position seien, um positive Veränderungen voranzutreiben.
Aber ein geändertes Verbraucherverhalten ist kein Allheilmittel. Der Umstellung in der Ernährung steht ein tief verwurzeltes und kulturelles Normverhalten gegenüber. So steht dieser angepriesenen Umstellung eine Verschlechterung der Lebensmittelinhalte, eine zu geringe Kaufkraft für gesündere Lebensmittel und ein Aufschrei gegen eine Veganisierung von bereits mit Mängeln behafteter Nahrung in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen entgegen.
Die großen Lebensmittel- und Getränkeunternehmen überfluten Lebensmittelgeschäfte mit süchtig machenden Produkten, fahren aggressive Marketingstrategien und treiben letztendlich den übermäßigen Konsum voran und forcieren so ernährungsbedingte chronische Erkrankungen.
Wie von Consumer International beschrieben :
„Viele der Ansätze zur Erreichung der UN-Nachhaltigkeitsziele und Klimaziele beruhen stark darauf, dass Verbraucher andere Kaufentscheidungen treffen oder ihre Nutzung von Waren oder Produkten und Dienstleistungen ändern. Aber das ist keine faire Verantwortung für die Verbraucher, wenn die aktuelle Marktstruktur nicht nachhaltige Optionen begünstigt.“
Mein Fazit:
Institutionen und Forscher der öffentlichen Gesundheitsbereiche, sowie politische Entscheider müssen die Verantwortung der lebensmittelverarbeitenden Unternehmen in Anspruch nehmen, und sie für die Gesundheits- und Umweltkosten ihrer Produkte zur Verantwortung ziehen auch finanziell. Ihre Bemühungen müssen in den Interessen des Erzeugers und des Verbrauchers liegen und klare und praktische Leitlinien für die Ausrichtung an den Zielen für eine nachhaltige Entwicklung in der Lebensmittelindustrie beinhalten und Geschäftsstrategien dorthin zu ändern, das gesunde Lebensmittel ethisch und nachhaltig produziert werden.
Als Macht- und Vermögenshalter in der Versorgungskette ist die Lebensmittelverarbeitungsindustrie ein weitaus effektivere und effizientere Ausgangsposition von Reformen als die verschiedenen Hunderte Millionen Verbraucher und Landwirte an den entgegengesetzten Enden des Lebensmittelsystems.
Dieser Beitrag basiert auf Quellen von Defender
Auch die besessensten Vegetarier beißen nicht gern ins Gras.
Zitat – Joachim Ringelnatz