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Wokismus & Hypermoralität – Versuch einer Erklärung

In vielen westlichen Ländern lassen sich gegenwärtig tiefgreifende politische und ideologische Spannungen beobachten, die oft mit den Begriffen „Wokismus“ und „Hypermoralität“ in Verbindung gebracht werden. Diese Phänomene haben zu erheblichen Verwerfungen und Kontroversen in der Gesellschaft geführt. Nicht selten werden diese Bewegungen offen oder verdeckt von ideologischen oder finanziellen Interessen geführt und missbraucht.

Der „Wokismus“, abgeleitet vom englischen Wort „woke“ (wach sein), bezieht sich auf ein gesteigertes Bewusstsein für vorgebliche und reale soziale Ungerechtigkeiten, insbesondere in Bezug auf Rassismus, Sexismus und andere Formen der Diskriminierung. Befürworter sehen darin eine notwendige Maßnahme zur Schaffung einer vorgeblich gerechteren Gesellschaft, während Kritiker argumentieren, dass er zu Überempfindlichkeit und Zensur führt. Die „Hypermoralität“ beschreibt eine übertriebene moralische Haltung, bei der komplexe Themen oft in Schwarz-Weiß-Kategorien eingeteilt werden. Dies führt zu einer Polarisierung der Gesellschaft, bei der abweichende Meinungen schnell als unmoralisch abgestempelt werden.

Die Kluft zwischen progressiven und konservativen Kräften hat sich infolgedessen vertieft, was den politischen Diskurs erschwert. Das hat zu massiven Einschränkung der Meinungsfreiheit, vornehmlich an Universitäten und in den Medien geführt. Bewährte Debatten und Faktendarlegungen werden anhand von Empfindungen und Empfindlichkeiten negiert oder gar untersagt.

Die Betonung von tatsächlichen und/oder empfundenen Gruppenidentitäten hat sowohl zu mehr Sichtbarkeit marginalisierter Gruppen als auch zu Vorwürfen einer vorgeblichen Spaltung geführt. Debatten über „Cancel Culture“ und politische Korrektheit haben sich intensiviert, ohne bisher zu einem konstruktiven Ergebnis zu führen. Viele Organisationen und Unternehmen geraten aufgrund dessen unter massiven Druck, der sie ihre Praktiken in Bezug auf Diversität und Inklusion überdenken lässt, was sowohl Unterstützung als auch Widerstand hervorruft. Diese Spannungen spiegeln tiefgreifende gesellschaftliche Veränderungen wider und werden wahrscheinlich auch in Zukunft die politische und kulturelle Landschaft in den westlichen Ländern prägen.

Diese Fragen berühren einen komplexen Zusammenhang. Der Trend zum Wokismus lässt sich teilweise mit dem erwirtschafteten Wohlstand durch die Elterngeneration, mangelhafter politischer Bildung und einer daraus resultierenden Antriebslosigkeit und fehlenden Perspektive für die Jugend in Verbindung bringen.

Hier einige Überlegungen dazu:

  1. Maslowsche Bedürfnishierarchie:
    In wohlhabenden Gesellschaften sind die Grundbedürfnisse oft erfüllt, was dazu führt, dass Menschen sich verstärkt höheren Bedürfnissen wie Selbstverwirklichung und mitunter missverstandener sozialer Gerechtigkeit zuwenden. Dies kann das gesteigerte Interesse an „woken“ Themen teilweise erklären.
  2. Sinnsuche in der Überflussgesellschaft:
    Der materielle Wohlstand kann paradoxerweise zu einem Gefühl der Leere führen. Junge Menschen suchen daher möglicherweise in sozialen und politischen Bewegungen nach Sinn und Zweck.
  3. Fehlen traditioneller Herausforderungen:
    In einer Welt, in der viele existenzielle Probleme gelöst scheinen, können sich junge Menschen neuen „Kämpfen“ zuwenden, die ihnen ein Gefühl von Bedeutung und Wichtigkeit geben.
  4. Digitale Vernetzung und Echokammern:
    Der technologische Fortschritt ermöglicht es jungen Menschen, sich leicht mit Gleichgesinnten zu vernetzen, was die Bildung und Verstärkung bestimmter ideologischer Positionen begünstigen kann.
  5. Verändertes Arbeitsumfeld:
    Die Unsicherheit auf dem Arbeitsmarkt und der Wandel traditioneller Karrierewege können zu einem Gefühl der Ziellosigkeit beitragen und gleichzeitig das Interesse an alternativen Wertesystemen fördern.
  6. Generationenkonflikt:
    Der wahrgenommene Mangel an Fortschritt bei bestimmten sozialen Themen kann junge Menschen dazu motivieren, radikalere Positionen einzunehmen.
  7. Bildung und kritisches Denken:
    Ein höheres Bildungsniveau kann zu verstärktem kritischen Denken und einer größeren Sensibilität für soziale Probleme führen.
  8. Wohlstandsbedingte Schuldgefühle:
    Das Bewusstsein für globale Ungleichheiten kann bei jungen Menschen in wohlhabenden Ländern zu einem Gefühl der moralischen Verpflichtung führen, sich für Veränderungen einzusetzen.

Es ist wichtig zu betonen, dass diese Faktoren komplex miteinander verwoben sind und nicht alle jungen Menschen gleichermaßen betreffen. Zudem gibt es unzählige auch junge Menschen, die trotz oder gerade wegen des Wohlstands sehr zielstrebig und ambitioniert sind.

Die Herausforderung besteht darin, die positiven Aspekte dieses gesteigerten sozialen Bewusstseins zu nutzen, ohne in extreme Positionen zu verfallen, die den gesellschaftlichen Zusammenhalt gefährden könnten.

Wer partizipiert von diesem Trend?

Es ist offensichtlich, dass der Wokismus von verschiedenen Interessengruppen instrumentalisiert wird oder ihnen zumindest zugutekommt. Hier einige potenzielle ideologische und politische Interessen, die davon profitieren könnten:

  1. Nicht-demokratische politische Bewegungen:
    Linke und linksliberale Parteien nutzen den Wokismus, um ihre Wählerbasis zu mobilisieren und zu erweitern, insbesondere bei jüngeren Wählern und Minderheiten.
  2. Identitätspolitische Gruppen:
    Organisationen, die sich für die Rechte bestimmter Minderheiten einsetzen, können durch den Wokismus mehr Aufmerksamkeit und Unterstützung für ihre Anliegen gewinnen.
  3. Akademische Institutionen:
    Bestimmte Fachbereiche in den Geistes- und Sozialwissenschaften können durch die Popularität woken Gedankenguts an Bedeutung und Finanzierung gewinnen.
  4. Medienunternehmen:
    Einige Medien nutzen woke Themen, um Aufmerksamkeit zu generieren und bestimmte Zielgruppen anzusprechen.
  5. Unternehmen:
    Firmen können sich durch die Unterstützung woken Gedankenguts als fortschrittlich und sozial verantwortlich positionieren, was ihr Image und potenziell ihren Umsatz verbessern kann.
  6. Aktivisten und Influencer:
    Einzelpersonen können durch ihr Engagement in woken Bewegungen an Bedeutung, Einfluss und Bekanntheit gewinnen.
  7. Politische Strategen:
    Der Wokismus kann als Ablenkung von anderen politischen oder wirtschaftlichen Themen genutzt werden.
  8. Globale Soft-Power-Interessen:
    In geopolitischen Kontexten könnte der Wokismus als Instrument zur Kritik an anderen Staaten oder zur Förderung bestimmter Werte genutzt werden.

Die Instrumentalisierung ideologischer Bewegungen für politische oder wirtschaftliche Zwecke ist ein bekanntes Phänomen in der Geschichte. Es erfordert kritisches Denken und eine differenzierte Betrachtung, um die verschiedenen Facetten und Motivationen hinter solchen Bewegungen zu verstehen.

Wie sollte eine demokratische Gesellschaft agieren?

Einige argumentieren, dass bestimmte Aspekte des sogenannten „Wokismus“ wichtige gesellschaftliche Themen wie Diskriminierung und soziale Gerechtigkeit adressieren. Andere kritisieren, dass manche Ausprägungen zu weit gehen, kontraproduktiv sind und nicht selten die Grenzen der Rechtmäßigkeit überschreiten.

In einer Demokratie ist es wichtig, dass unterschiedliche Meinungen und Ansätze diskutiert werden können. Ein konstruktiver gesellschaftlicher Diskurs, bei dem verschiedene Standpunkte von beiden Seiten respektvoll ausgetauscht werden, kann helfen, Lösungen zu finden.

Mögliche Ansätze könnten sein:

  • Offener Dialog zwischen verschiedenen Gruppen fördern
  • Faktenbasierte Diskussionen anregen
  • Bildung und kritisches Denken stärken
  • Demokratische Prozesse und Institutionen stärken
  • Aufklärung über mögliche politische und ideologische Interessen im Hintergrund
  • Darlegung möglichen Missbrauchs eigener Interessen durch Dritte
  • Aufklärung über alternative und konstruktive Möglichkeiten

Letztendlich liegt es an der Gesellschaft als Ganzes, zu entscheiden, welche Ideen und Werte sie verfolgen möchte. Wichtig ist dabei, die demokratischen Grundprinzipien wie Meinungsfreiheit und Rechtsstaatlichkeit zu wahren.

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